
Auch wenn Dystopien in Mode sind, ist Abwechslung nicht schlecht – wie der satirische Science-Fiction-Spaß Mickey 17, mit dem Oscar-Preisträger Bong Joon-ho seinen ersten Film seit Parasite abliefert. Das Ganze gerät derart komisch, dass man fast vergessen kann, eine Dystopie zu sehen. Dank der sozialkritischen und satirischen Ausprägung ist aber auch Mickey 17 ein waschechter Joon-ho. Aber der Reihe nach.
Grelle SF-Satire
Bong Joon-ho tut gut daran, nach Parasite ins Science-Fiction-Fach zu wechseln. Hier kennt er sich aus, man denke an Snowpiercer. Doch anders als der grimmige Endzeitfilm ist Mickey 17 neben all der herrlich unterhaltsamen, kurzweiligen Komik vor allem: Ein scharfer satirischer Blick sowohl auf unsere aktuelle Welt im Ganzen, aber auch bissiger Blick auf Kapitalismus, Ungleichheit und nicht zuletzt die USA. Mickey 17 ist ein überdrehtes, irres, aus gutem Grund heillos übertriebenes Weltraum-Abenteuer, in dem nur eines zu kurz kommt: Die literarische Vorlage Mickey 7 von Edward Ashton. Wer eine halbwegs werkgetreue Verfilmung des Romans erwartet, sollte wissen, dass Joon-ho aus der Geschichte etwas Eigenes erschafft. Das ist ein Gewinn für Film und Publikum.
Menschen als Wegwerfware
Wie schon in den Vorgängerfilmen sehen wir eine unbarmherzige Klassengesellschaft, in der sich die unteren Schichten behaupten müssen. In Mickey 17 wird am Beispiel des Mickey Barnes (Robert Pattinson) der Mensch einer unteren Klasse zur Wegwerfware im wahrsten Sinne des Wortes: Als sogenannter Expendable ist er ein ersetzbares, austauschbares Werkzeug aus Fleisch und Blut mit Geist und Seele. Da seine Körpermatrix und sein Gedächtnis gespeichert sind, kann er nach seinem Tod einfach wieder ausgedruckt und wiederverwendet werden. Sein Recht auf Leben liegt ganz in den Händen anderer, die ihn immer wieder auf tödliche Missionen schicken, um kein „echtes“ Menschenleben zu opfern. Zwar ist Mickey nach jedem erneuten Ausdruck inklusive Gedächtnisübertragung wieder er selbst – aber nur, weil es sein Job ist, bei einer nächsten gefährlichen Mission erneut zu sterben. Rechte hat er keine.
Mehr noch: Er wird wie auch im Buch von sogenannten Natalisten verabscheut, einer religiösen Sekte, für die Expendables keine Menschen sind. Buch und wie Film verschärfen das Ganze, indem Mickey 18 erschaffen wird, während Mickey 17 noch existiert. Zwei identische Expendables werden als Multiple gebrandmarkt und dürfen gemeinsam nicht leben.
Weltraum-Trump mit irrer Gattin
Herr über Leib und Leben ist der schmierige, großkotzige Abgeordnete Kenneth Marshall, einem ultimativen Kotzbrocken – hervorragend von Mark Ruffalo mit viel Freude gespielt, der damit seine große Leistung aus Poor Things schlagen möchte. Marshall ist nicht zufällig eine Art Weltraum-Trump. Als windiger Abgeordneter, der an der Spitze von der kaputten Erde verschwindet, um den Planeten Niflheim zu kolonisieren, erschafft er sich wie ein Cäsar eine eigene Welt: Weiß und rein. Er ist laut, vulgär und ein offensichtlicher Idiot. Neben ihm: Seine Frau Ylfa, die zu spielen Toni Collette sichtbares Vergnügen zu finden. Ylfas einzige wahre Leidenschaft sind Saucen, die alle lieben (oder es müssen). Das ist absurd und soll es auch sein, die Figur wurde eigens für den Film geschrieben und kommt im Buch gar nicht vor. Immer wieder muss sie ihm Stichworte geben und führen, da er allein nicht dazu in der Lage ist.
Die Marshalls sind ein satirisch heillos überzeichnetes Kolonisten-Rassisten-Schwein-Duo, das nur ein Gesetz kennt: Gefälligst ihr eigenes. Dass diese Menschen die Machthaber sind, ist deutlicher Seitenhieb auf Despoten und natürlich: Trump. Mark Ruffalo karikiert Trumps Mimik immer wieder, und dann ist da sogar die Szene, in der ein Schuss Marshalls Kopf nur streift.
Dass das Ganze hauptsächlich Spaß macht und nicht zu einer drögen Satire-Revue verkommt, liegt an der Leichtfüßigkeit, in der Joon-ho die 140 Minuten wie im Flug vergehen lässt. Zwar ist die Erde hinüber, Menschen wie Wegwerfprodukte behandelt und einfach bei Bedarf neunproduziert, Mickeys „bester Freund“ Timo (Steven Yeun) ist ein so verlogener wie treuloser Bastard und seiner Freundin Nasha (Naomi Ackie) fällt nichts Besseres auf die Entdeckung von Mickey 18 ein, als dringend mit beiden gleichzeitig Sex zu haben, solange einer von beiden nicht in den Recycler geworfen wird (diese Gelegenheit muss man schließlich ausnutzen) – und trotz all dieses Zynismus ist Mickey 17 einfach witzig.
Weder subtil noch philosophisch, dafür mit viel Spaß
Im Gegensatz zu Parasite fällt auf, wie wenig subtil Mickey 17 ist. Auch philosophisch geht es keine Sekunde zu, dabei gäbe es interessante Themen genug: Menschsein, Klonen, Geistübertragung und Doppelgänger kaum bis gar nicht behandelt -Das hat der Film mit seiner Vorlage gemeinsam: Autor Ashton schreibt zwar launig, aber im Gegensatz zum Film substanzlos. Joon-ho, der den Roman vom Autor selbst direkt zugeschickt bekam, sah das Potenzial und griff zu.
Robert Pattinson at its best
Getragen wird der Film natürlich von Robert Pattinson, diesmal gar in einer Doppelrolle. Er trifft im Klamauk des Films den richtigen Ton und transportiert gleichzeitig Charme, Intelligenz und Verletzlichkeit. Sein menschliches Wegwerfprodukt ist ein Mensch mit Empfindungen und Seele. An ihm ist es, den einzigen wirklich differenzierten Charakter des Films zu spielen.
Stolze 140 Minuten nimm sich Joon-ho für seine prachtvoll ausgestattete und umgesetzte SF-Comedy-Satire Zeit – keine Sekunde zu viel.
Mickey 17
USA 2024
Regie: Bong Joon-ho
Mit: Robert Pattinson, Steven Yeun, Mark Ruffalo, Toni Collette
Verleih: Warner
Länge: 140 Minuten
FSK 16