Filmkritik Anselm – Das Rauschen der Zeit

Filmkritik Anselm – Das Rauschen der Zeit - https://der-filmgourmet.de

Ein poetischer Film über Kunst als Kunstwerk: Vielleicht ist das eine passende Beschreibung für den traumschönen, magischen, ganz wundervollen Film Anselm – Das Rauschen der Zeit, den Wim Wenders da zwei Jahre lang gedreht hat: Nah am Künstler Anselm Kiefer, in seinen gigantischen Ateliers, in der Landschaft, aber auch mit einigen Spielszenen in der Vergangenheit Anselms.

Biopic eines Werks

Was ist dieser Film? Spielfilm ebensowenig wie Dokumentation, auch keine Künstlerbiografie. Wenders sagte selbst in einem Interview mit dem Magazin Monopol: „Das ist ein Biopic seines Werkes, sozusagen, aber nicht des Privatmenschen Anselm Kiefer.“

Wir sehen also einem künstlerischen Werk an sich zu: Beim Entstehen, beim Stehen in der Landschaft, in Räumen, in Ausstellungen. Untrennbar damit verbunden: Der Künstler selbst, dessen Leben, Vergangenheit und Erinnerung untrennbar mit seinem Werk verbunden ist. Wir sehen, dass all das ein Netzwerk ist, dass alles miteinander verbunden ist. Dazu sind weniger Erklärungen nötig noch Erzählungen. 

Ein visuelles Erlebnis

Das alles ist ganz großartig anzusehen und in jeder Hinsicht ein Erlebnis. Wenders blickt nicht einfach auf Kiefers gigantischen Werke, hakt nicht einfach Biographisches ab – er erschafft mit Anselm – Das Rauschen der Zeit einen poetischen Rausch, wie man ihn so wohl noch nie gesehen hat. Die Kamera von Frank Lustig schwebt majestätisch um, über und durch Kunstwerke und Installationen, bringt perfekte Einstellungen und Szenen hervor. Da haben sich Menschen mit Kiefers Werk und mit Kunst im Allgemeinen und Besonderen befasst, denn anders hätte dieser magische Film nie entstehen können.

Immer wieder stellt Wenders kurze Ausschnitte aus früheren Dokumentationen zur Seite, lässt uns Gedichte von Paul Celan hören, die Kiefer für Kunstwerke verwendete, zeigt uns die zerstörten Städte des Zweiten Weltkriegs, die Kiefers Werk beeinflussen. Hin und wieder spielen Daniel Kiefer oder Anton Wenders jüngere Versionen Anselm Kiefers, manchmal lässt sich auf Kiefer zu Szenen überreden. Hier sehen wir Kunst beim Werden zu, aber auch Kunst beim Existieren. 

Ausgezeichnete Filmmusik

Und dann diese Musik! Wenders hat für Anselm Leonard Küßner einen eigenen Soundtrack komponieren lassen: Klassisch von einem 70-köpfigen Slovak National Symphony Orchestra eingespielt, hören wir sogar eigens für den Film entstandene Arien, gesungen von Birita Poulsen, Fanny Soyer und Samantha Gaul. Küßner war maßgeblich in den Entstehungsprozess des Films involviert, manche Szenen entstanden erst zu seiner Musik – für diese hörenswerte Arbeit erhielt Küßner völlig zu Recht den „Best Original Music Score“ bei den 39. IDA Documentary Awards 2023. Schon das Hören ohne den Film ist überzeugend, aber zusammen mit den rauschhaften Bildern wird sie Teil eines sinnlichen Gesamtkunstwerks, das seinesgleichen sucht. 

3D in Vollkommenheit

Der Film ist keine Suche nach Kunst im Allgemeinen, Kiefers Kunst im Besonderen oder gar Anselm Kiefer im Speziellen – der Film ist ein Finden in der Annäherung. Unmittelbar beteiligt: Die Zuschauer des Films. Im Kino lief er, wo möglich, sogar in 3D, auch für das Heimkino ist er als 3D-Blu-ray erschienen, erstaunlich in Zeiten, in denen 3D-Filme fürs Heimkino kaum noch gekauft werden. Aber es lohnt sich. Wenders nutzt 3D nicht zur Überwältigung, nicht als billigen Effekt, sondern als   maßgebliches Element der Gestaltung. Kiefers Kunst ist dreidimensional. Sei es als Skulptur im Raum oder als das, was manche wohl als „Gemälde“ bezeichnen würden, was aber als Definition so kaum haltbar ist. 3D ist also sogar vernünftig, und Wenders weiß, wie er es einsetzt. Zweifellos ist Wenders Anselm – Das Rauschen der Zeit einer der großartigsten 3D-Film überhaupt. 

Anselm – Das Rauschen der Zeit: Ein Kunstwerk für sich, ästhetisch in jeder Hinsicht ein Erlebnis.

Anselm – Das Rauschen der Zeit
Deutschland 2023
Regie: Wim Wenders
Mit: Anselm Kiefer, Daniel Kiefer, Anton Wenders
Verleih:
Länge: 93 Minuten
FSK: 6
https://youtu.be/5JZgB_6LoN4?feature=shared

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert