Filmkritik Die Klavierspielerin

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„Achtung: Haneke“ wäre ein guter Warnhinweis für die Filme des Österreichers Michael Haneke. Regelmäßig lassen sie dem Publikum auf besondere Weise die Haare zu Berge stehen. Niemand ist abgründiger, niemand ist so gnadenlos und dabei so gediegen, ruhig, entspannt, dass man gar nicht merkt, wie sich einem die Kehle bei seinen Filmen zuschnürt. Hanekes Regie bleibt nüchtern und distanziert, schnelle Schnitte oder ausladende Musikuntermalung gibt es in seinen Filmen nicht. 

Gnadenloser Blick in den Abgrund

Auch in Die Klavierspielerin geht Haneke gnadenlos vor, dabei sind all seine Filme Kunst, intellektuell, stets ruhig und besonnen. Es ist dieser analytische Blick und die Furchtlosigkeit, in die tiefsten Abgründe hinzublicken und sie zu Filmthemen zu machen.

In Die Klavierspielerin haben wir es mit dem grausamen Absturz besagter Klavierlehrerin zu tun, atemberaubend gespielt von Isabelle Huppert, DER Grande Dame des französischen Kinos. Sie passt ideal zu Hanekes analytischer Herangehensweise und ist die perfekte Besetzung.

Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schrieb die Romanvorlage zu diesem Drama über den grausamen Absturz eines Menschen, der die Kontrolle über sein Leben deshalb verliert, weil ein Leben in Kontrolle und Disziplin jegliches Leben vernichtet hat.

Erika ist geachtete wie gefürchtete Musikprofessorin am Wiener Musik-Konservatorium und unterrichtet in Meisterkursen die talentiertesten Klavierschüler. Dabei ist sie unerbittlich. Ihr Anspruch ist fast unerreichbar,  nur die Perfektion ist ihr gut genug. Sie behandelt ihre Schüler kaum wie Menschen, sondern wie Maschinen. Menschlichkeit, gar Herzlichkeit sind ihr völlig fremd. Für sie zählt nur die Perfektion an sich. Sie selbst ist angesehene Pianistin und Schubert-Interpretin. Ihre Kultiviertheit macht sie ernst, unnahbar, unerreichbar. Ihr Gesicht ist von beängstigender Strenge, ihr Intellekt überragend. Sie hat Schubert, ihr Klavier und die Schüler fest im Griff. Wenn da nicht das eigene Leben wäre.

Erika teilt mit einer Person Wohnung und Bett: Ihrer Mutter (Annie Girardot), eine herzlose Person, die ihre Tochter drangsaliert, kontrolliert, ihr die Tasche aus der Hand reißt und neu gekaufte Kleider zerreißt. Zuhause verliert die machtvolle „Frau Professor“ jegliche Macht und lebt das Leben einer Inhaftierten. 

Kontrolle und Kontrollverlust

Nach knapp 25 Filmminuten dann eine drastische Szene, die Erikas unterdrückte sexuellen Gefühle zeigt. Ebenso mechanisch wie entfremdet riecht sie buchstäblich an dem, was ihr versagt bleibt. Dann verliebt sich der hartnäckige junge Mann Walter Klemmer (Benoît Magimel) in sie – und schafft es durch Talent und Fließ, ihr Schüler zu werden.

Erikas Leben gerät außer Kontrolle, denn das, was durch Walter von außen an sie herankommt, entzieht sich ihrer Macht. Walter schafft es, zur ihr durchzudringen und erfährt letztlich die geheimsten Wünsche einer Frau.

Damit ist ihr Schicksal besiegelt. Ihre Innenwelt ist geprägt von der Unmenschlichkeit, die sie ihr Leben lang kennen gelernt hat. Sie mag Musik beherrschen – Gefühle und Liebe in klassische Werken zu als Kunstfertigkeiten zu interpretieren – doch leben und empfinden kann sie diese Gefühle nicht. So sind auch ihre Begierden Kunstprodukte, die mit echtem Gefühl, wie es Walter für sie empfindet, nichts zu tun haben. Was sie Walter offenbart, entsetzt ihn. Dennoch finden beide kurz zueinander, nur um kurz darauf wieder zu scheitern.

Hanekes Filme tun weh

In der Charakterzeichnung ist der Film ebenso kompromisslos und radikal wie in der Wahl der filmischen Mittel: da fängt die Kamera unsentimental und unendlich das Minenspiel der superben Isabelle Huppert ein, die mittels grandioser Schauspielkunst das Rumoren unter der Oberfläche fühlbar werden lässt. 

Schnörkellos seziert Haneke in seinem Film das Seelenleben der Protagonistin und lässt die tragische Fallhöhe zwischen äußerer Überlegenheit und innerer Unterlegenheit schmerzhaft zutage treten. 

Hanekes Filme, allesamt überragende Kunstwerke, tun weh. Wer sein oscargekröntes Drama Liebe unbeschadet übersteht, kann von Glück reden. Unvergessen sein revolutionärer Funny Games, der bis heute in den Top-Listen der unerträglichsten Filme auftaucht. Und natürlich sein grandioses Meisterwerk Das weiße Band, das Furore machte. Wohlfühlfilme sind nicht Hanekes Sache, und wer sich wissentlich für einen Haneke-Film entscheidet, tut dies mit der Gewissheit, einen neuen entsetzlichen Einblick in die Realität zu bekommen. Zwei Goldene Palmen von Cannes, ein Golden Globe und Dutzende andere Preise heimste Haneke für seine Sozialsezierungen ein. 

Die Klavierspielerin schmerzt auf menschlicher Seite so sehr, weil die Fallhöhe zwischen Sein und Schein, zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, zwischen Glück und Unglück so gewaltig ist. Denn eigentlich bekommt Erika eine große Liebe, dazu einen jüngeren Mann, quasi auf dem Silbertablett serviert. Es könnte so schön sein, aber!

Ein aufwühlender Film, der an die Nieren geht und lange nachhallt. Hart, komplex und brillant. Für zarte Gemüter sicher nichts.

Die Klavierspielerin
Österreich, Frankreich, Deutschland 2001
Regie: Michael Haneke
Mit: Isabelle Huppert, Benoît Magimel, Annie Girardot, Udo Samel
Verleih: Concorde
Länge: 131 Minuten
FSK: 16

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