Filmkritik The Zone of Interest

Filmkritik The Zone of Interest - https://der-filmgourmet.de

Die Familie ist Höss ist eine schrecklich nette Familie: Während nur Meter entfernt Menschen zu Tausenden in Auschwitz, der größten Massenmordfabrik der Menschheit getötet werden, kümmert sich die Familie Höss gleich nebenan um ihren Alltag. Rudolf geht wie jeder Mann zur Arbeit und kommt heim, Hedwig sorgt sich um Kinder, Haus und ihren wunderschönen Garten. In dem hat sie sich verwirklicht und berichtet ihrer Mutter, dass Weinreben bald auch die Mauer da bedecken werden. Diese Mauer da ist nicht nur eine Mauer an einem Garten: Sie trennt Zivilisation von Zivilisationsbruch, jedoch nicht die Welten. Stattdessen verbindet sie sie, denn natürlich gehören sie zusammen. Der Massenmord auf der einen Seite, das Zulassen, Überhören und Ausblenden auf der anderen Seite.

Die Banalität des Alltags neben dem Massenmord

Drehbuchautor und Regisseur Brian Glazer seziert in seinem halbdokumentarischen Film The Zone of Interest menschliche und moralische Verkommenheit unter dem Deckmantel von Alltag und Kultur. Und so unglaublich es beim Anschauen des Films auch sein mag: Das, was wir sehen, hat wirklich so stattgefunden. 

Wir sehen Menschen in der Banalität des Alltags. Dabei bleibt die dokumentarische Kamera auf Augenhöhe und blickt nie über die Mauer ins Lager. Sie macht uns selbst zu Anwesenden. Was wir sehen, sind qualmende Schlote, manchmal Feuer und sein Widerschein, der aus Schornsteinen leckt. Was wir nicht sehen, muss unser Wissen über das, was Auschwitz war und was dort geschah, auffüllen.

Die hochauflösenden, messerscharfen Bilder zeigen jeden Grashalm und leuchten jede Ecke aus. Dieser dokumentarische Ansatz ist Absicht, keine Sekunde sollen wir denken, einer Fiktion zuzusehen. Wir sind stille Beobachter von Alltagssituationen eines Lebensflusses, in dem es nur eine Schwierigkeit gibt: Der drohende Umzug aus der Kommandeursvilla – dabei hat doch gerade Hedwig als Mutter, Herrin des Hauses und Gartenliebhaberin hier in Auschwitz sowohl Lebensmittelpunkt als auch ihr persönliches Paradies gefunden. Ihr Satz, man müsse sie von dort forttragen, ist an Zynismus nicht zu überbieten.

Eiskalt, zynisch und menschlich, nahbar

The Zone of Interest zeigt uns auf irritierende Weise unbekannte Seiten von Frauen und Männern, was tiefe Verstörung und Unwohlsein erzeugt. Das große Verdienst des Films liegt darin, ausgerechnet die Ehefrau als eiskaltes, gewissenloses Monster zu zeigen, und ausgerechnet den Mann, Lagerleiter Rudolf Höss, Nahbarkeit, Sanftheit und sogar menschliche Wärme zu verleihen – dieser zutiefst verstörende Kunstgriff ist genial und äußerst mutig. Wäre so ein Ansatz als deutscher FIlm je möglich gewesen? So ist es erneut die US-amerikanische Produktionsfirma A24, die von ihrer Gründung an für außerordentliches Kino steht, diesen Film möglich zu machen.

In den Szenen mit Hedwig zeigt uns der Film eine bislang so nicht gesehene Komponente des Holocaust in Nazideutschland: Frauen als überzeugte Mitläuferinnen, die es sich im Regime gemütlich gemacht haben, ohne selbst aktive Täterinnen gewesen zu sein. 

Hedwig verteilt gönnerhaft Frauenwäsche an ihre Haushaltshilfen, greift bei einem Pelz selbst zu und probiert sogar den Lippenstift, den sie in einer Manteltasche findet. Ständig muss man sich fragen, wie es diese Frau schafft, das Grauen nebenan auszublenden und sich sogar häuslich einzurichten.

Sandra Hüller, die zur gleichen Zeit mit ihrer oscar-nominierten Hauptrolle in „Anatomie eines Falls“ Furore machte, gibt Hedwig Höss eine gnadenlose Kaltblütigkeit, die in vollem Wissen über die Taten und das Grauen lebt und handelt. Sie spielt derart Hedwig eiskalt und gewissenlos, dass es weh tut. 

An Christian Friedel ist es, den Leiter von Auschwitz mit aller Menschlichkeit zu porträtieren. Friedel füllt seine Rolle mit Bravour aus und ist der ideale Akteur für diesen Part. 

Er gibt Rudolf Höss ein privates Gesicht. Er kommt heim, liest seiner Tochter eine Gutenachtgeschichte vor, schließt abends das Haus ab, isst – ein effizienter Biedermann (fast) ohne Eigenschaften. Er, der das industrielle Töten organisiert, ist auch Vater, Ehemann, Geburtstagskind, ob uns das nun gefällt oder nicht. Und in diesen Rollen ist er – auch das mag uns nicht gefallen – ein ganz normaler Mensch. 

Besonders verstörend ist das Gespräch, in dem Architekten kühl und präzise einen Entwurf für noch effizientere Verbrennöfen vorstellen. Die Sprache ist sachlich und distanziert. Über Menschen wird hier nicht gesprochen, sondern von „Zuladungen“. Alle Gesprächspartner inklusive des Lagerleiters Höss agieren dabei mehr oder weniger normal. Es ist ein Geschäftstermin, wie er – abgesehen von seinem Thema – täglich überall stattfindet. Es ist genau diese banale Alltäglichkeit vor dem Hintergrund des Holocaust, die zutiefst beunruhigt.

Von nebenan hört man den Schrecken

Über allem liegt ein Soundtrack des Grauens: Leise, aber unüberhörbar brummt die „größte Menschen-Vernichtungsanlage aller Zeiten“, wie Höss sie bei den Nürnberger Prozessen selbst nannte, gleich nebenan tagaus, tagein: Wir hören aus der Nachbarschaft entfernte Schreie, Schüsse, Befehle. Sounddesigner Johnnie Burn hat sich dafür intensiv mit der Akustik befasst, die im Garten und im Haus geherrscht haben muss. Nicht nur Geräusche an sich, sondern auch Lautstärke und Hall hat er exakt nachvollzogen, sodass wir im Film die ersten sind, die hören können, was die Familie Höss gehört haben muss. Dafür wurden er und sein Kollege Tarn Willers mit dem Oscar ausgezeichnet. Das Haus wurde originalgetreu dem Original nachgebaut und eingerichtet. 

Nur selten verlässt der Film die Perspektive, etwa, wenn in einer Szene die Kamera von unten zu ihm hinauf filmt, während wir nur hören, dass Menschen weinend und schreiend aus einem Zug steigen. Oder als Hedwigs Mutter nachts aus dem Fenster schaut und die Flammen sieht. Am nächsten Tag ist sie über Nacht abgereist, nur einen Brief hat sie da gelassen, den ihre Tochter Hedwig ungerührt liest und im Ofen verbrennt.

The Zone Of Interest ist eine amerikanisch-britisch-polnische Produktion, komplett auf Deutsch gedreht. Das ist auch der Grund, warum dieser Film den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film gewinnen konnte. Aus dieser Distanz ist ein derartiger Blick auf die dunkle Episode vielleicht eher möglich, als es eine deutsche Produktion hätte sein können – der hätte man Verharmlosung vorwerfen können. So aber wirkt der Film als das, was er ist: Ein aufsehenerregender, kühl-sachlicher Blick mitten ins Herz des Nationalsozialismus und seine perfide Funktionsweise. Und ein düsterer, entlarvender Blick in die Schattenseiten der menschlichen Seele.

Ein überaus wichtiger Film und ein sehenswertes Werk.

The Zone of Interest
USA/GB/PL 2023
Regie: Jonathan Glazer
Mit: Christian Friedel, Sandra Hüller
106 Minuten
FSK: 12

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert