Nosferatu und Robert Eggers: Das darf man sicher ein perfektes Match nennen. Nosferatu war immer der künstlerische Teil der Dracula-Erzählung. Nosferatu steht für künstlerische Ambition, für Avantgarde, für Experiment. Eggers hat das verstanden wie kein zweiter. Zu Recht gilt seine Interpretation von Nosferatu als meisterhaft inszeniertes Highlight – ein Ruhmesblatt für den Regisseur, aber auch für das Horrorgenre: Denn Nosferatu beweist, wie nah sich Horror und Kunst eigentlich sind.
Nosferatu ist Eggers in Höchstform
Nosferatu – Der Untote ist sowohl Eggers in Höchstform, als auch ein Gewinn für das moderne Kino. Eben weil er sich den Originalfilm als Blaupause nimmt und sich ihn zu eigen macht. Das Ganze ist großartig anzusehen, ein visueller Rausch und eine akustische Attacke. Bewusst artifiziell, erzählt Eggers selbstbewusst eine künstlerisch überhöhte Horrorgeschichte, die knapp über zwei Stunden zu packen weiß. Für Filme wie Nosferatu ist das Kino erfunden worden.
Eggers taucht wie schon in seinem Erstling The Witch tief ein in folkloristische Mythologie, die aus heutiger Sicht der reine Horror ist. Nosferatu steht für Volksglaube und -unglaube, der nur in übertragener Ebene funktioniert.
Wie so häufig spielt Eggers auch in Nosferatu gekonnt mit Deutungsleerstellen, die aus heutiger Sicht schwer oder gar nicht mehr zu füllen sind. Das erzeugt Verstörung, Unbehagen, Verunsicherung. Lieferte der mythologische Volksglaube wenigstens Begründungen, die aus Sicht der Damaligen Sinn ergaben, entzieht sich uns Heutigen diese Deutungshoheit.
Ein Kunstwerk in allen Belangen
Für seine Erzählung fährt er das Beste an Ausstattung, Kamera und Beleuchtung auf, das man in den letzten Jahren im Horrorkino zu sehen bekam. Hier sitzt jede Rüsche, ist jeder Schatten perfekt gesetzt und jedes Licht konzeptionell getragen. Klar: Das Ganze ist überhöht, künstlich, entrückt, mit realistischen Maßstäben nicht zu fassen. Die deutsche Fantasie-Stadt Wisborg ist ein traumhaft-entrückter Ort, der nicht nur fern in der Vergangenheit liegt, sondern auch sichtlich in einer romantischen Fantasiewelt befindet. Gefilmt wurde maßgeblich in für den Film gebauten Sets in Prager Filmstudios, für die Gesamtdarstellungen orientierte man sich an Lübeck und Danzig.
Wo Nosferatu anno 1922 noch ein Stummfilm war, entfesselt 2025 eine bombastische Soundkulisse. Gerade in IMAX-Kinos wackelt ein ums andere Mal der Sitz, sowohl beim sinfonischen Score von Robin Carolan, als auch bei den Soundeffekten. Das alles tönt derart intensiv, als wolle man den fehlenden Ton des Stummfilms von vor über 100 Jahren nun nachholen.
Wie bei einem Eggers-Film üblich, sind keine Blutbäche und Gewaltorgien zu erwarten. Lange, ruhige Einstellungen, Perspektiven und Kamerafahrten: Eggers legt Wert auf Atmosphäre. Seine Erzählwelt liegt wahlweise im Dunkel, Nebel oder Zwielicht. Kein Ort, selbst die detailversessenen, exquisit ausgestatteten Wohnräume der Oberschicht sind nie Orte zum Wohlfühlen. Jede Einstellung des Films transportiert etwas Ungutes, Unheimliches. Das Set-Design leistet ganze Arbeit.
Carolans differenzierter Soundtrack unterstreicht nicht nur die Atmosphäre, sondern schafft sie maßgeblich. Diffuse Chöre, seufzende Streicher, markige Kontrabässe sind immer Teil der Handlung. Der Horror des Films ist psychologischer Natur und erzeugt mehr Beklemmung wie in einem Korsett.
Für was steht Nosferatu?
Apropos Korsett: Was ist Ellen zugestoßen? Für was steht Nosferatu? Eggers mag Hinweise streuen, aber Erklärungen gibt er nicht. Dafür tauchen wir in eine Zeit ein, in der die Eigenständigkeit von Frauen unterdrückt wurde. Gesellschaftliche Zwänge speisten sich aus religiösen Normen, viele gängige Erkläransätze waren noch nicht so anerkannt. Nosferatu als Naturgewalt, als chtonische Kraft, okkulte Figur deckt ein weites Spektrum ab. Trauma? Vergewaltigung? Depression? Auf jeden Fall etwas, das so nicht benannt werden kann oder darf. Auf diese Weise ist Nosferatu wie auch The Witch die Schilderung gesellschaftlicher Zwänge, und was Menschen in ihnen erleiden.
Wir sehen aus heutiger Sicht moderne Frauen in einer Welt, die ihre Eigenständigkeit ständig verhindert. Religiöser Glaube, Familie, Keuschheit sind die vorherrschenden Anker der Gesellschaft um 1830. Ungesagtes, Unverarbeitetes muss verarbeitet, in ein funktionierendes Regelwerk gegossen werden. Wer ausbricht, bricht nicht nur Tabus, sondern gesellschaftliche Konventionen.
Exzellenter Cast
Getragen wird Nosferatu von einem exzellenten Cast, der sich in keiner Sekunde die Blöße einer Schwäche gibt. Nicholas Hoult als Thomas Hutter ist so stark, wie wir ihn nur selten erleben dürfen. Seine Rolle verlangt viel Schauspielkunst ab, und Hoult liefert jederzeit.
Herausragend ist Lily-Rose Depp als gepeinigte Ellen Hutter. Sie meistert die Bandbreite ihrer komplexen Rolle bravourös. Mit dieser Leistung empfiehlt sie sich klar für Höheres.
Großes Erzählkino
Robert Eggers Nosferatu ist Erzählkino in Reinkultur. Eggers schöpft aus dem Vollen und hat keine Angst vor großen Vergleichen – und die gibt es neben dem Stummfilm auch mit Bram Stoker’s Dracula von Franics Ford Coppola durchaus. Eggers nimmt die Gefahr solcher Vergleiche gelassen und zieht sind Ding durch: Mit nahezu quadratischem Bildformat, interessanter Farbdramaturgie und einem wirkungsvollen Spiel mit Licht und Schatten. Auch sieht sein Nosferatu (Bill Skarsgard) komplett anders aus. Eggers bleibt sich treu darin, eigenwillige, mehrdeutige, psychologische Filme zu drehen, die den Horror zu ihren Ursprüngen zurückverfolgt: Den Mythen, Märchen und Legenden.
Ein sensationeller Film.
Nosferatu
Regie: Robert Eggers
Mit: Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Bill Skarsgard, Aaron Taylor-Johnson, Willem Dafoe
Studio: Universal
Länge: 132 Minuten
FSK: 16