
Alle Jubeljahre passiert etwas Besonderes wie Blood & Sinners: Dann kommt ein Film, der einem längst ausgelutschten Genre etwas Neues hinzufügt. Blood & Sinners tut mehr als das. Er gibt dem Thema Vampire einen neuen Zusammenhang. Das ist auch der Grund, dass sich Autor und Regisseur Ryan Coogler über eine Stunde Zeit nimmt, um seine Geschichte sorgsam aufzubauen. Mit durchschlagendem Erfolg, denn Blood & Sinners wurde vor allem in den Vereinigten Staaten ein so nicht vorausgeahnter Kassenhit und spielte allein dort fast 280 Millionen Dollar ein. Wie ist das zu erklären?
Ein gekonnter Weltenentwurf
Wir tauchen ein in die Welt der 1930er-Jahre, Südstaaten, USA. Die Zwillinge Smoke und Stack (sensationell gespielt von Michael B. Jordan in einer Doppelrolle) kehren nach sieben Jahren in ihre alte Heimat zurück, um – bestens gekleidet und vollbepackt mit Geld und Gütern – einen Blues-Club zu eröffnen. Von Horror ist die erste Stunde weit entfernt. Einzig kurze Szenen, nicht mehr als Fetzen, deuten an, dass noch etwas anderes, Bedrohliches im Gange ist. Ansonsten nehmen wir teil am Leben der Menschen: Baumwollpflücker, Ladenarbeiter, Musiker auf der Straße.
Blood & Sinners bietet schwelgerischen Einblick in eine Welt und überzeugt vor allem mit Atmosphäre. Regisseur Coogler, der mit Creed: Rocky’s Legacy und den Marvel-Blockbustern Black Panther sowie Black Panther: Wakanda Forever große Kassenerfolge erzielt hat, hatte rund 100 Millionen Dollar im Rücken, um seine breit angelegte Geschichte zu bebildern: Als Kinoepos, auf 65-mm-Film gedreht, einige Szenen sogar im überwältigenden IMAX-Format. Das Budget ist für einen Horrorfilm ungeheuerlich, aber man sieht es in den gebauten Sets, den Kostümen. Coogler will Authentisches zeigen, um es im letzten Drittel dann in einen Vampirfilm kippen zu lassen – denn er hat damit etwas Maßgebliches zu sagen.
Ankommen, Heimkommen, Heimat, Identität
All das deutet schon an: Blood & Sinners ist kein klassischer Horrorfilm – vielleicht ist er sogar überhaupt kein Horrorfilm. Coogler bedient sich den klassischen Horrorelementen selbst dann kaum, als der Film längst zum Vampirfilm geworden ist. Man ahnt schon, dass es in Blood & Sinners um viel mehr geht. Ums Heimkommen, ums Ankommen, aber eben auch um Heimat, Ursprung und Identität an sich. Der Film beginnt mit der Vorstellung von Mythen über Musiker, die mit ihrer Musik Tore geöffnet hätten, und dass es sie in jeder Kultur gab. Und wir lernen einen dieser Musiker kennen, der sich selbst nicht als einer jener Menschen sieht, Tore zu öffnen: Sammie Moore (Miles Caton), der von seinen Cousins, den beiden heimgekehrten Zwillingen als Musiker für die Eröffnung ihres Clubs gebucht wird.
Der Vampir als Symbol für Rassismus
Wenn nach einiger Zeit dann doch der erste Vampir auftaucht – halb verbrannt im Sonnenlicht – tut sich eine Nebenhandlung auf, die im letzten Drittel mit der Haupthandlung zusammenläuft. Hier tun sich Vampire mit weißen Rassisten zusammen, denn sie tun sich mit dem Ku-Klux-Klan zusammen, eine höchst interessante und originelle Idee, die den Film weit über andere Genrevertreter heraushebt.
Blood & Sinners ist ein Blick in die Herzkammer der amerikanischen Gesellschaft, und unter diesem Blickwinkel ergibt der Filmtitel erst Sinn, der im Amerikanischen Original lediglich Sinners lautet.
Wer sind die Sünder in diesem Film? Sind es die beiden Brüder, die offensichtlich eine Gangsterkarriere hinter sich haben und deshalb Sünder geworden sind? Oder ist es die amerikanische Nation an sich, die auf Rassismus basiert?
Das ist aber nicht der einzige Kniff: Denn in Blood & Sinners geht es auch um Musik – um Blues. Er steht als Sinnbild für kulturelle Identität und Heimat, der zudem Zeit und Raum überwindet. Besonders deutlich zeigt sich das in einer surrealen, mehrminütigen Kamerafahrt durch die tanzende Menge, in die sich auch modernde Hip-Hopper und Gitarristen mischen, die in der Zeit der 1930er-Jahre eigentlich nichts zu tun haben. Es sind wenige Minuten bedeutungsvoller Kinomagie über Zeitlosigkeit von kulturellem Erbe und Einfluss – fantastisch ist das, sowohl visuell, als auch musikalisch, ästhetisch und intellektuell. Was übrigens auf den gesamten Film zutrifft.
Macht all das BLood & Sinners zu einem Meisterwerk? In gewisser Hinsicht berechtigterweise ja. Grandios.
Blood & Sinners
USA 2024
Regie: Ryan Coogler
Mit: Michael B. Jordan, Miles Caton, Saul Williams, Andrene Ward-Hammond, Jack O’Connell, Tenaj L. Jackson
Verleih: Warner
Länge: 138 Minuten
FSK: 16