Filmkritik Das Licht

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Rahmensprengend, kühn und visionär sind bis jetzt ganz sicher keine Tugenden für einen deutschen Film – doch jetzt kommt Tom Tykwer und schenkt uns genau das: Das Licht ist rahmensprengend, kühn und visionär, ein episches, phantasievolles  Märchen aus der Jetztzeit, höchst aktuell und doch immergültig. Wie konnte so etwas im deutschen Film passieren?

Der wohl aufregendeste deutsche Film seit Jahrzehnten

Tykwer greift für Das Licht ganz tief in das Füllhorn des Erzählens. Über 160 Minuten lang nimmt er sich Zeit für ein großes, schwungvolles Tableau unserer Zeit. Das Licht ist mutig, denn wir sehen Träume mit schwebenden Menschen, Computerspiele-Szenen, sogar Musical-Nummern! Damit sprengt Tykwer das viel zu enge Korsett, das selbst die guten deutschen Filme in Summe narrativ einzwängt. Das Licht ist kühn, weil Tykwer darin auch Fantasy-Elemente nicht scheut und sich traut, dem Mysthischen Raum zu geben.

Tykwers Das Licht ist tatsächlich poetisch und in seiner Art des Erzählens so international wie modern. Wahrscheinlich wird sich genau daran das deutsche Publikum stören, das von deutschen Produktionen Betulichkeit und Erwartbarkeit will. Dabei ist es doch gerade Tykwers großer narrativer Einsatz, dieser Reichtum und diese Pracht, die Das Licht zu dem wohl aufregendesten deutschen Film seit Jahrzehnten machen.

Das Licht nimmt uns nicht einfach nur mit in eine große Erzählung, sondern auch in mehrere Figuren. Dabei ist Tykwer ganz dem seriellen Erzählen verpflichtet, das in den letzten Jahren in Babylon Berlin zu internationalen Höhen trieb. Jede seiner Hauptfiguren erhält eine eigene Einführung, manches muss sich erst im Laufe des Films zusammenfinden, bis dann am Ende das ganze große Gemälde sichtbar und erfahrbar wird.

Ein Licht, das für etwas steht

Was bekommen wir in Das Licht eigentlich erzählt? Am Anfang steht ein langsamer Zoom über die Dächer eines regnerischen Berlin in das Fenster eines großen Häuserblocks, in dem Licht brennt. Dieses Licht wird es sein, dem die Personen im Film folgen, auch wenn ihnen das gar nicht bewusst ist. Das Licht, so viel sei gesagt, steht für etwas. Alle Personen folgen einer Art Licht auf unterschiedlichen Wegen. Die Wege laufen zusammen und bilden eine gemeinsame Erzählung, die deshalb so überwältigend wird, weil die vielen Einzelerzählungen weiterhin parallel laufen. Das Licht ein vielstimmig und multiperspektivisch und nimmt sich den Luxus, Zuschauer im Unklaren zu lassen. Imagination ist durchaus gefragt, vor allem, wenn plötzlich Figuren zu singen beginnen oder über die Straße tanzen.

Natürlich ist Das Licht kein Musical. Besagte Tanz-, Gesangs- und Traumnummern verteilen sich in den stattlichen 160 Minuten fast schon homöopathisch – und wirken gerade deswegen. Man beachte, was in diesen Passagen passiert: Während der gesamten Handlung regnet es in Berlin ununterbrochen, nur in diesen Sequenzen nicht. Man kennt so etwas aus phantasievollen Produktionen aus dem Ausland, nicht aber aus Deutschland. Daher wird es endlich Zeit, dass auch hierzulande die beengten, in Summe spießbürgerlichen Erzähltraditionen aufgebrochen werden. Das Licht ist dafür der wunderschön anzusehende, märchenhafte Rammbock.

Das Licht ist ein Film über das Zusammenkommen nach dem Auseinanderdriften, eine Geschichte über die heilende, universelle Kraft des Miteinanders und des Befruchtens. Es sind die Impulse von außen, die die festgefahrenen Strukturen aufbrechen und zu guter Letzt … – nun, das sollte man sich unbedingt selbst ansehen.

Ein Panorama an Menschen und Themen

Den Personen widerfährt allerhand in den stolzen 160 Minuten. Da es ununterbrochen regnet, mag man schnell ahnen, dass man hier einer metaphysischen Erzählung folgt. Dabei ist das Geschehen selbst so realistisch wie nachvollziehbar. Was Tykwer schafft: Er lässt unter dem Alltäglichen einen entrückten Grundton vibrieren, der die ganze Zeit über spürbar ist. 

Über die vielbeschäftigte und vielreisende Mutter Milena (Nicolette Krebitz) brechen immer mehr Probleme herein. Ihr Leben: Getaktet, hektisch, immer am Telefon. Ihre Figur erdet den Film, repräsentiert sie doch „die Arbeitswelt“ mit ihren Herausforderungen und Entfremdungen. Doch als die syrische Haushälterin Farrah (Tala Al Deen) in das Leben der Familie tritt, beginnt sich etwas in ihrem Leben zu ändern.

Auch einzelne Figuren sind teilweise skurril, wie Lars Eidingers Figur des Tim Engels, der nicht nur überall mit Rad und Regenponcho durch den Berliner Regen fährt, sondern zu Hause auch einfach nackt herumläuft, seiner Familie zum Trotz. Auch seine Tochter Frieda (Elke Biesendorfer) haftet Skurilles an – und was passiert da eigentlich im Computerspiel, in das sich Sohn Jon (Julius Gause) so sehr vergräbt? Dessen ungeachtet gibt es in diesem leicht entrückten Treiben ganz normale Probleme, die die innere Struktur des Films zuverlässig vorantreiben. Die Engels sind eine dysfunktionale Familie, wie Tochter Frieda eines Tages richtig sagt. Man hat sich auseinandergelebt und lebt nur noch nebenher.

Genau aber darum geht es: Um die Folgen eines Lebens, das ohne andere auskommt, ein Leben der Ignoranz, des Übersehens. Alles in allem packt Tykwer eine große Menge an Themen in seinen Film, dessen Struktur und Handlungsrahmen dabei aber darunter nicht leidet. Das Licht ist übervoll, überreich und ein gewagter Spagat – ein echtes Panorama an Menschen und Themen, das Tykwer die ganze Zeit sorgfältig austariert und führt.

Ja: Tom Tykwers Das Licht ist gerade für einen deutschen Film in jeder Hinsicht ungewöhnlich und mutig. Kein Experiment, sondern ein selbstbewusster Beitrag, um eine poetische Filmsprache zu etablieren und neue Formen des Erzählens zu finden. Ein Film, in dem man sich verlieren kann. Mit einem Wort: Wow.

Das Licht
BRD 2025
Regie: Tom Tykwer
Mit: Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, Tala Al-Deen, Elke Biesendorfer

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