Filmkritik Der Brutalist

Filmkritik Der Brutalist - https://der-filmgourmet.de


Ein Epos wie aus der Zeit gefallen, ein Monolith an Film und ein Kunstwerk, wie es selten ist: Der Brutalist begeistert zu Recht. Die erfundene Geschichte eines fiktiven Architekten, der nach den dem 2. Weltkrieg in die USA flieht und dort Fuß fasst, ist ein Meilenstein des modernen Kinos. Denn Regisseur Brady Corbet traut sich was: Er lässt mit Mona Fastvold, die mit ihm das Drehbuch schrieb, viele Leerstellen in der Erzählung, deutet an, reißt an, lässt einiges bewusst in der Schwebe. Das ist so meisterhaft wie mutig – und Adrien Brody ist einmalig. 

215 Minuten Filmkunst auf höchstem Niveau

Doch warum ist Der Brutalist eigentlich Filmkunst? So richtig weiß man das erst in den letzten Szenen des Films, in denen ein entscheidender Kernsatz fällt. Es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Wir haben nicht nur den Lebensweg des aus Ungarn in die USA eingewanderten Architekten László Toth gesehen. Wir haben nicht nur einige Jahre der Höhen und Tiefen, Erfolge und Rückschläge verfolgt. Wir haben ein Konzept gesehen: Regisseur Corbet hat mit seinem Film genauso wie sein Architekt ein monumentales Gebäude errichtet. Die Erzählung spiegelt sich im Gebäude, das Gebäude in der Erzählung. Beide sind eins, beides entwickelt sich gleichzeitig. Das ist großartig.

Die Form ist der Inhalt

Niemand im Film kann sich Lászlós Vision angemessen vorstellen, so geht es dem Publikum auch mit dem Film. Das Verständnis ergibt sich Stück für Stück. Doch wozu das alles?
Der Gebäudekomplex, der László plant, wird zum Sinnbild der Traumabewältigung des 2. Weltkriegs, die Überwindung von Vertreibung, Ermordung, Internierung. Der Brutalist Laszlo wird von seiner Vergangenheit getrieben und versucht, sie in der Gegenwart für die Zukunft in Beton zu gießen. Das Geflecht der Räume, Treppen und teils unterirdischer Gänge steht für erlebte Erfahrung, aber auch für die Erzählstruktur des Films: Viel Untergründiges, Verborgenes umgibt die Charaktere. Manch Angerissenes bleibt unaufgelöst und uns selbst überlassen. Die Wirklichkeit hat mehr Schichten, als wir zuerst sehen. 

Das Unbehagen durch das Verborgene

Mehrere Fragen stehen nicht im Raum, sondern bereiten durch ihr Schwelen und Glimmen Unbehagen: Was ist Erszébet (Felicity Jones) genau passiert? Was ist in der Familie van Buren passiert? In welchem Verhältnis stehen die beiden Kinder Harry (Joe Alwyn) und Maggie (Stacy Martin)? Warum spricht Zsófia (Raffey Cassidy) nicht? Ist zwischen ihr und Harry etwas passiert? Fast alle haben eine Vergangenheit, die nur angedeutet wird, die aber alle Handlungen und Motivationen der Personen prägen. 

Und das passt genau ins Konzept: Was treibt László eigentlich zu seiner Vision des Baus? Es sind nur einige Fragen, denn es würde viel von der Handlung vorwegnehmen, wenn man sie hier stellte. Eines ist aber klar: Wir sollen uns unwohl fühlen. Dies ist keine Erfolgsgeschichte, und überall lauert Ablehnung oder Gefahr. László wird es mehrfach erfahren. 

Die Geschichte von Ausbeutung und Kapitalisierung

Der Brutalist erzählt in seiner epischen Länge noch mehr: Die Ausbeutung von Kunst, von Kunstschaffenden, von Untergebenen. Das amerikanische Großkapital kommt gönnerhaft, doch auch ambivalent in Form des Industriellen Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) und seinem Sohn Harry. Ja, Harrison gibt László die Möglichkeit, Fuß zu fassen, jedoch liegt immer etwas Raubtierhaftes darin. Und wirklich: In einer denkwürdigen Szene – die hier nicht verraten wird – wird die Ausbeutung und rohe Inbesitznahme von Mensch und Vision überdeutlich. Es ist diese Szene, die Laszlo brechen wird. 

Ein Film, der atmet

Corbet nutzt die lange Laufzeit exzellent. Er hält sich nicht damit auf, mit langen, epischen Panoramen Zeit zu schinden. Die Story ist ständig im Fluss. Was Corbet aber lässt, ist Raum zum Atmen. Die Szenen haben Raum, die Personen haben Raum. Gesichter, Gesten, realistische Gesprächspausen geben dem Film einen fließenden Takt, der alle Details der Handlung und der Charaktere zur Geltung kommen lässt. So vergehen die 215 Minuten wie im Flug.

Angesichts der phänomenalen Leistungen seiner Darsteller wünscht man sich eigentlich noch mehr Laufzeit. Adrien Brody, für Der Pianist als jüngster männlicher Gewinner als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet, konnte 20 Jahre fast durchgehend nur in vorzüglichen Nebenrollen glänzen. Mit Der Brutalist ist er mit einem unüberhörbaren Knall wieder da – und wie! Den Golden Globe hat er bereits. Auch Felicity Jones liefert die beste Leistung ihrer Karriere. Auch sie kann wie Brody auf einen verdienten Oscar hoffen, wie Guy Pearce. Doch auch die anderen Rollen zeigen: Corbet hat ein großartiges Ensemble zusammengestellt, das überzeugt und begeistert. 

Ein Film, der leuchtet

Was schnell auffällt, sind die besonderes Farben des Films: Alles leuchtet intensiv. Corbet greift auf das alte VistaVision zurück, das zuletzt 1963 verwendet wurde. Auch Hitchcock liebte VistaVision und schuf damit beispielsweise seine Meilensteine Vertigo, Der Unsichtbare Dritte und Der Mann, der zuviel wusste. Große Filme in VistaVision: Die zehn Gebote, Krieg und Frieden oder Hausboot. Corbet stellt seinen Film damit in eine große Ahnenreihe – zugegeben ein wenig größenwahnsinnig, allerdings ging es dabei um Authentizität: Er wollte seinen Film, der hauptsächlich in den späten 40er- bis frühen 60er-Jahre spielt, mit dem Filmmaterial einfangen, das seinerzeit als Referenz galt. Das merkt man jede Sekunde. Sein Kameramann Lol Crawley findet eindrucksvolle Bilder, die lange nachhallen. Manche Einstellungen wirken selbst wie Gebäude. Dass Der Brutalist keine 10 Millionen Dollar gekostet hat, kann man kaum glauben angesichts der Güte dieser Bilder, Ausstattung und Erzählung. 

Der Lohn: 10 Oscar-Nominierungen sowie 3 gewonnene Golden Globes. Die internationale Filmkritik ist frenetisch angesichts dieses auf mehreren Ebenen kühnen Werks, mit dem sich Corbet als ein künftig Großer empfiehlt. Falls er das nach diesem Brett an Film überhaupt noch nötig haben sollte.

Der Brutalist
USA 2024
Regie: Brady Corbet
Mit: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce
Verleih: Universal
Länge: 215 Minuten
FSK: 16

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert