Filmkritik Killers of the Flower Moon

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200 Millionen Dollar Budget hatte Regie-Altmeister Martin Scorsese für sein dreieinhalbstündiges Spätwerk-Epos Killers of the Flower Moon zur Verfügung. Diese enorme Summe verwendet er, um seinen Film so authentisch wie möglich zu machen. Die Schauwerte sind sichtbar, halten sich jedoch im Hintergrund. Überhaupt hält Scorsese hier nichts vom Vordergründigen und erzählt uns mit ruhiger Hand weniger eine Geschichte, sondern zeigt uns Geschichte – immerhin beruht der Film auf wahren Begebenheiten. Scorsese bleibt sich auch in seinem Alterswerk treu und blickt in die Psychen seiner Figuren und lässt sich bei seinem Film nicht hetzen.

Eine Studie über Moral und Charakter

Dafür verzichtet Scorsese bei Killers of the Flower Moon weitgehend auf typische Spannungsböden, die man im Kino meist erwartet, sondern konzentriert sich ganz auf seine Charaktere und ihre Handlungen. Das ist ihm außergewöhnlich gut gelungen, denn trotz seines schwindelerregenden Budgets ist ein waschechter Ensemblefilm, der den Fokus auf Menschen legt. Damit wird sein Film zum echten Understatement – auch, was Spannung angeht: Scorsese lässt seine Filmhandlung eher gleiten als ausschlagen. Im Vordergrund stehen ganz die menschliche Verkommenheit und ihre Auswirkungen auf die Menschen beider Seiten – und das ist dramatisch genug. Scorsese hat also keinen Thriller oder Kriminalfilm gemacht, sondern eine bravouröse Milieu- und Charakter- und Moralstudie. Scorsese sagte in Cannes:

„It’s not a whodunit. It’s a who-didn’t-do-it.“

Das Gute und das Böse

Zwischen der Guten und dem Bösewicht ist Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) hin und hergerissen. Er ist im Grunde zu gut, um wirklich böse zu sein, aber auch zu gutmütig, um sich gegen seinen durchtriebenen Onkel William Hale (Robert De Niro) und seinen finsteren Plänen zu widersetzen. Das macht Ernest zu einem klassischen gefallenen Helden in einem tragischen Dilemma, das jederzeit spürbar ist. Ist Ernest also im Grunde seines Herzens gut? Immerhin scheint dies seine Frau Mollie (Lily Gladstone) selbst dann noch zu glauben, als die ersten seiner Taten ans Licht kommen. Die Liebe als Ausgleich und Bindeglied: ein schönes, immer gültiges Thema. 

Genau das macht Killers of the Flower Moon so wirkmächtig: Die menschliche Verkommenheit, Gier, aber auch passives Übernehmen von Strukturen machen aus Mitläufern grausame Täter, ohne dass sie dabei ihr Menschsein und ihre sozialen Bindungen verlieren. Denn wäre Ernest ohne diese schädlichen Einflüsse solch ein Mensch geworden? Der Film gibt darauf allenfalls mögliche Ansätze einer Antwort.

Leonardo DiCaprio spielt Ernest fantastisch und nuancenreich. Er lässt seinen Zwiespalt ebenso deutlich werden wie seine Hilflosigkeit sowohl seinem Onkel und der Gier, als auch seinem Gewissen gegenüber. Das ist auch angesichts eines solch ambivalenten Charakters wie Ernest auch nötig. 

Sehenswert ist auch Robert De Niro als finsterer Bösewicht in Gestalt eines verständnisvollen Wohltäters. Erneut eine ambivalente Figur, die menschliche Falschheit und Verlogenheit erschütternd spürbar macht. Er hat kein Gewissen, sondern ist ein eiskalt agierender, verlogener Drecksack, der sich nach außen gekonnt als Menschenfreund tarnt.

Fantastisch ist die Figur der Mollie (Lily Gladstone): Als totales Gegenteil der beiden männlichen Hauptdarsteller, glaubt sie an das Gute, ohne dabei naiv zu erscheinen. Sie steht für die Würde, die ein Mensch haben und behalten kann, auch wenn die äußeren Umstände noch so schwierig sind. Auch liegt sich mit ihrem Anspruch richtig, noch für lange Zeit das Gute in ihrem Mann zu sehen, der ihr doch so schadet. Sie ist eine Persönlichkeit mit erhobenem Haupt, und dieser scheinbare Widerspruch macht auch sie zu einer ambivalenten Figur. 

Große Bilder, enorm aufwendig

Optisch ist Killers of the Flower Moon pure Augenlust. Die Welt der frühen 1920er-Jahre in den Weiten der Prärie der USA steht hier überzeugend auf. Nicht nur Orte, sondern auch Innenschauplätze und Kostüme machen hier alles richtig. Klar: Scorsese hätte die Story selbst auch für weniger als die Hälfte des enormen Budgets drehen können. Aber Scorsese ging es sichtlich um Authentizität, schließlich beruht der dem Film auf wahren Begebenheiten. Sein Kameramann Rodrigo Prieto schwelgt in großen Panaroma-Kamerafahrten, aber verfolgt auch gekonnt Personen bei ihrem Weg durch ein Wohnhaus. Nichts in diesem Film wirkt wie Kulisse und Ausstattung. Das ist alles großartig anzusehen. 

Sitzfleisch wird benötigt

210 Minuten Laufzeit sind eine Ansage, zumindest im Kino. Dort lief der Film der Länge, dem Thema und der Machart angemessen. Doch beim Streamingdienst Apple TV+, wo Killers of the Flower Moon als besonderes Schmankerl lohne Zusatzkosten zu sehen ist, ist Laufzeit keine Frage. Immerhin ist es bei vielen üblich geworden, komplette Serienstaffeln am Stück durchzubingen. 

Killers of the Flower Moon hat dafür auch die geeignete Erzählart: Ruhig, nahezu bedächtig, mit Raum für Personen und Interaktionen.

Natürlich hätte Scorsese bei der Laufzeit kürzer treten können – aber es wäre auf Kosten der Atmosphäre und Authentizität gegangen. Killers of the Flower Moon macht keine Kompromisse, vielleicht war deshalb kein Studio bereit, die Gelder für diesen Mammutfilm aufzubringen. Möglich wurde er erst, als Apple co-finanzierte und sich damit den Film als Exklusivtitel sicherte. Weder ist er auf Blu-ray oder UHD zu haben, noch als normalpreisiger Leihtitel bei gängigen Plattformen. Wer dort den Film sehen will, muss ihn sich für bis zu 20 Euro digital kaufen. 

Wie man sich immer den Film nun ansehen möchte: Wer Geduld mitbringt, wird mit einem sehenswerten Film belohnt. 

Oscars? No.

Es ist bemerkenswert, wenn ein Film wie Killers of the Flower Moon für 10 Oscars nominiert wird – und am Ende keinen erhält. Da hilft auch der eine gewonnene Golden Globe für Hauptdarstellerin Lily Gladstone nichts. Immerhin: Die Konkurrenz war stark bei den Oscars 2023, dass man davon ausgehen kann, dass es bei einer anderen Konstellation an Wettbewerbsfilmen möglicherweise doch den einen oder anderen Goldjungen gegeben hätte.

Ebenso immerhin: Der Film sahnte weltweit rund 125 Preise ab. Eine hervorragende Bilanz, die sich sehen lassen kann. Wie der Film letztlich auch.

Killers of the Flower Moon
USA 2023
Regie: Martin Scorsese
Mit: Leonardo DiCaprio, Lilly Gladstone, Robert De Niro
Produktion: Paramount & Apple+
Länge: 210 Minuten

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