Zeitmaschinen und Alternativwelten sind ein großes Thema in Film und Literatur. Denn es stimmt ja: In der „Was wäre, wenn“-Frage ist viel Sehnsucht nach einem besseren Leben im Spiel, nach Vermeidung oder Verhinderung von erlebtem Leid – der Blick in die Zukunft ist viel mehr als die technische Auseinandersetzung und nicht nur ein Thema der Science Fiction.
Lola fügt dieser Auseinandersetzung einen inhaltlich wie formal originellen, unkonventionellen Beitrag hinzu. Als „Found Footage“, also als angeblich „gefundener Privatfilm“ inszeniert, erzählt er in nur 79 dicht gepackten, aber hochinteressanten Minuten die Geschichte zweier britischer Schwestern, die 1941 zuhause eine Maschine bauen, mit der sie in die Zukunft blicken können. Anfangs macht es ihnen nur Spaß, sich Musik aus ihrer Zukunft anzuhören, wie z. B. von David Bowie oder Bob Dylan, auch Geld können sie damit verdienen. Schnell kommt aber eine neue Komponente hinzu: Das britische Militär vor künftigen deutschen Angriffen warnen. Das könnte den 2. Weltkrieg ganz anders ausgehen lassen. Aber wie Filme nun einmal funktionieren: Immer eitel Sonnenschein kann nicht sein. So kommt es unweigerlich zur Katastrophe.
Oder doch nicht? Immerhin blicken wir mit Lola eine alternative Zeitlinie.
Viel Story in einem kurzen Film
Lola ist ein Zusammenschnitt „privater Aufnahmen“, schwarzweiß, auf beschädigtem Material, quadratisch. Angefertigt wurde er von Mars (Stefanie Martini) als Warnung an ihre Schwester Thom (Emma Appleton). Die gezeigten Katastrophen, so ihre Hoffnung, könnten vielleicht doch verhindert werden.
Autor und Regisseur Andrew Legge packt erstaunlich viel in seinen kurzen Film. Nach knapp 79 Minuten ist schon alles vorbei, aber die vielen Geschehnisse auf persönlicher und historischer Ebene lassen den Film länger erscheinen, als er ist.
Das Element der Zeitmaschine ist dabei nur das Vehikel für ein menschliches und zwischenmenschliches Drama. Die drei Hauptfiguren erhalten trotz der geringen Laufzeit und der „ausgewählten“ Szenen eine Menge Hintergrund und Charakterisierung. Sie sind hervorragend und authentisch geschrieben.
Historisches Material und neue Szenen vereint
Das Ganze ist großartig umgesetzt. Legge verwendet auch reales Videomaterial sowie Wochenschauen, die Bearbeitung passt bestens in den schwarzweißen, grobkörnigen und semiprofessionellen Look des Films. Wenn die Nazis dann tatsächlich England und London angreifen, wirken diese Szenen besonders authentisch und erschreckend. Wir sehen einer alternativen Realität beim Entstehen zu, und dank der Maschine Lola können wir sogar bis in die 70er-Jahre dieser Alternativwelt blicken.
Die digitalen Bearbeitungen historischer Aufnahmen ist gut gelungen und wirken realistisch. Wenn die Nazis in „alten“ Aufnahmen in Großbritannien einfallen, geht das durchaus unter die Haut. Dass diese Special Effects dem heutigen Standard nicht entsprechen können, liegt in der Natur der Sache. Ingesamt hat man es wunderbar geschafft, die alternative Zeitlinie wiederzugeben.
Fantastisch gespielt
Durch die drei greifbaren und glaubwürdigen Hauptfiguren und ihre nachvollziehbaren Beziehungen zueinander bleibt das Geschehen über die ganze Spielzeit geerdet. Dieser menschliche Rahmen bietet auch Raum für das persönliche Drama, das mit dem großen Geschehen des Films einhergeht.
Stefanie Martini und Emma Appleton als Schwestern Mars und Thom sowie Rory Fleck Byrne als Lt. Sebastian Holloway sind ein überzeugendes Trio, das den Film emotional trägt und zusammenhält. Ihnen nimmt man ihre Rollen jederzeit ab. Was wir alles in der recht kurzen Laufzeit von nur 75 Minuten alles zu sehen bekommen: Hut ab.
Lola
Irland/GB 2023
Regie: Andrew Legge
Mit: Emma Appleton, Stefanie Martini, Rory Fleck Byrne
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Länge: 79 Minuten
FSK: 12