
Jordans Peeles Filme sind eher Studien als Horrorfilme, das gilt auch für seinen mysteriösen Nope – der ist großartig anzusehen, bietet sagenhafte Schauwerte und viel Mysterium; aber auch die große Frage „Was soll das eigentlich alles?“
Nope, das Puzzle
Peele ist sich dessen nicht nur völlig bewusst, er hat es sogar zu seinem Markenzeichen gemacht. War sein Oscar-prämierter Welterfolg Get Out noch ein leicht zugängliches Werk, wurde bereits sein zweiter Film Wir rätselhaft. Mit Nope bietet er ein Puzzle, bei dem man nie sicher sein kann, ob man es gelöst hat.
Erzählerisch verneigt sich Peele mit Nope vor den großen Klassikern wie Spielbergs Unheimliche Begegnung der Dritten Art, und das ist auch Thema seines Films. Aber wir werden mit zwei Erzählsträngen konfrontiert, die auf den ersten Blick nur lose miteinander verknüpft sind: Da ist die Hauptgeschichte rund um OJ (Daniel Kaluuya) und seiner Schwester Emerald (Keke Palmer), die sich schließlich daran machen, das Rätsel des Himmelsobjekts zu lösen – und die Nebengeschichte des durchdrehenden Schimpansen Gordy, der in einer Sitcom alle Beteiligten tötet, bis auf den Jungen Ricky (Steven Yeun). Dieser findet sich als Erwachsener in der Hauptstory wieder. Aber warum eigentlich? Seine Vorgeschichte hat mit der Hauptgeschichte nichts weiter gemeinsam …
Medien überall
Und natürlich ist das ein Irrtum. Denn was in den 90ern als TV-Sitcom begann, setzt sich in der Jetztzeit als Social-Media-Dramedey fort: Die Jagd nach dem „Oprah-Bild“, also dem Foto, mit dem man in Oprah Winfreys Talkshow eingeladen wird. Nope ist neben seinen unverkennbaren Horror- und Science-Fiction-Elementen hauptsächlich eine garstige Mediensatire. Überall geht es um Kameras: Sei es an dem Filmset, das OJs Pferd zum Ausbrechen bringt, sei es bei der Smartphone-Hatz nach der ultimativen Sensation, und nicht zuletzt wird das Haus von OJ und Emerald mit allerlei Kameras ausgestattet. Und dann ist da noch die finale Jagd nach einem Videobeweis, in der der berühmte Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott) sogar eine handbetriebene IMAX-Kamera aufstellt. Rickys Live-Show vor Publikum ist ebenfalls ein als Spektakel inszenierter medialer Zeitvertreib, der vom zahlenden Publikum natürlich gefilmt wird.
Vor diesem Hintergrund ist das „außerirdische Ding“, um das es im Film hauptsächlich geht, eine Lächerlichkeit, denn es ist im Grunde kaum mehr als „heiße Luft“, die Menschen verschlingt. Erinnert das Innere dieses Biests nicht auch an eine Fernsehröhre alter TV-Geräte?
Alle in diesem Film spekulieren. Warum ist der Affe Gordy eigentlich außer Kontrolle geraten? Was ist das Ding am Himmel? Wer hat es geschickt? Wir sehen zahlreiche Projektionen von Menschen auf Phänomene, die sie medial einfangen wollen.
Das Scheinwerferlicht
Auf Horrorebene funktioniert Nope wunderbar. Peele lässt seinen herausragenden Kameramann Hoyte van Hoytema, der seit Jahren auch die Filme Christopher Nolans einfängt, sagenhafte Szenen drehen, oft in prachtvollem IMAX-Format. Die häufig sonnendurchfluteten, strahlend hellen und weiten Landschaften scheinen auf den ersten Blick nicht zum intimen Horror zu passen, der seine Wirkkraft für gewöhnlich aus Dunkelheit und begrenzten Räumen bezieht. Wir finden sie auch in Nope, aber ständig ist dort viel im Hintergrund. Bei der nächtlichen Szene in der Scheune gibt es zahlreiche Winkel, hinter denen der Horror hervorspringen kann, und selbst bei der Autoszene findet das eigentlich Grauenvolle draußen statt, wir sehen durch die Fenster des Autos hinaus.
Peels Weite ist mehr eine trügerische Leere, die fast allgegenwärtige Sonne steht für all die Scheinwerfer, die Öffentlichkeit braucht, um zu strahlen – wieder einer von Peeles satirischen Kommentaren. Die gekonnten und effektiven Horrorszenen, allesamt großartig gefilmt, sind lediglich Reminiszenzen an große Vorbilder. Peele erfindet absichtlich nichts neu, sondern zeigt in der Variation des Bekannten lediglich die Leere von Spektakel und Unterhaltung, die auf Wiederholung basiert: Hier hat nichts eine eigene Seele, hier gibt es keinen eigenen Gedanken – damit zu spielen, ist Seele und originärer Gedanke des Films, und das funktioniert perfekt.
Ein schwer zu knackendes Rätsel
Damit hat Nope allerdings auch ein Problem: Er ist nur schwer bis gar nicht entschlüsselbar. Für reine Horrorfans ist Nope viel zu rätselhaft. Die Meta-Ebene, die dem Film sein Fundament gibt, erschließt sich vielen gar nicht, sodass sie mit Nope einen Film sehen, der sie nicht abholt. Peele machte mit Nope bedeutungsschwangere, symbolgeladene Filmkunst im Gewand einer Hollywood-Hochglanzproduktion im IMAX-Format. Auch Fans unterhaltsamer Science Fiction kommen kaum auf ihre Kosten, da sie vieles bereits in anderen Filmen gesehen haben. Nope ist ein Film, der geknackt werden will, und sei es nur auf unterbewusster Ebene. Die Bedrohung, der Horror dieses Films ist ein subkutan brodelndes Ungeheuer, das sich der einfachen Deutung entzieht. Das ist brillant durchdacht und umgesetzt, es macht Nope zu einem einzigartigen Ausnahmefilm, sehenswert, kühn, bis ins Kleinste konzipiert und mit eindrucksvollen Bildern umgesetzt, in den Horrorszenen zupackend – es schließt aber auch große Teile des Publikums aus, die diesem intellektuellen Spiel nicht folgen können oder wollen. Nope führt bewusst aufs Glatteis, zieht interessierte Menschen mit einer Story und einem Trailer an, der einen unterhaltsamen Horror-SF-Film erwarten lässt – nur um ihnen dann eine bitterböse Medienkritik unterzujubeln, die sie selbst zu den Kritisierten macht.
Das schlug sich denn auch in den Bewertungen der breiten Masse nieder, und das zu Recht. Sie stehen oft im krassen Gegensatz zur Filmkritik, die Nope ebenfalls zu Recht in den höchsten Tönen lobt. Damit dürfte Peele das gelungen sein, was er vorhatte. Längst steht der Name Jordan Peele für herausforderndes Horrorkino mit doppelten Böden, verborgenen Kammern und Geistern auf dem Dach und damit für höchst innovatives Erzählkino, das immer weitaus mehr ist als das, was man auf den ersten Blick sieht. Wer sich bewusst für einen Peele entscheidet, hat inzwischen konkrete Erwartungen, und die sind sowohl filmästhetisch, als auch intellektuell hoch.
Ein wahres Glück, dass es solche Filmemacher und solche Filme gibt.
Nope
USA 2022
Regie: Jordan Peele
Mit: Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun, Brandon Perea, Michael Wincott
Verleih: Universal
Länge: 122 Minuten
FSK: 16