Größe darin zu zeigen, eine große Geschichte klein zu verpacken, ist eine Disziplin der Meisterschaft. Dafür scheint Japan der perfekte Ort. Hier hat der deutsche Meisterregisseur Wim Wenders mit Perfect Days einen wunderbaren großen kleinen Film gedreht, der uns tief ins Menschliche hineinführt. Dieses stille Werk ist nicht weniger als eine große Ode an das Leben in Zufriedenheit. Vordergründig sehen wir Hirayama (Kôji Yakusho) bei der Arbeit zu: Der alleinstehende, stille Mann reinigt Tokyos Designer-Toilettenhäuschen mit einsamer Würde und harmonischer Selbstverständlichkeit. Aber es geht um viel mehr.
Filmperle abseits von Blockbustern und Event
Perfect Days ist ein mutiger Film. Regisseur Wenders verzichtet darin auf fast alles, was für uns Heutige einen Film ausmacht. Kaum Worte, dafür Orte. Kaum Stimmen, dafür Stimmungen. Keine Deutungen, aber Deutungsräume. So einen Film überhaupt zu machen, ist gerade heutzutage ein Geschenk, das aus der Zeit gefallen scheint. Aber es stimmt nicht: Perfect Days ist nur einer jener besonderen Filmperlen, die nach der Pandemie genau das Kino ermöglichen, das immer wieder totgesagt wird: Ein Kino abseits von Blockbustern und Event. Diese Form des Kinos ist so lebendig wie eh und je, findet sein wertschätzendes Publikum, und das ist eine wunderbare Sache.
Wenders als schweigender Beobachter
Anfangs scheint es keine Geschichte zu geben, keinen Plot. Stattdessen folgt Wenders meisterhaft Hirayama wie ein schweigender Beobachter durch seine Tage und Alltage und stellt dabei die Person und ihr Leben konsequent in den Mittelpunkt. Mit dokumentarischem Stil erzählt er eine Geschichte, die mehr ist, als sie uns direkt zeigt. Wenders stellt Tiefe über Tempo, ohne dass Leerlauf entsteht.
Hirayama redet kaum, wir sehen Hirayama in seiner Wohnung, auf dem Weg zu Arbeit, bei der Arbeit, auf dem Heimweg. Der Film präsentiert uns Wiederholung mit kleinen Nuancen. Da wir kaum anderes zu tun haben, als dem zuzusehen, haben wir den Kopf frei für all das, was ungesagt bleibt, und was man sonst aus Unaufmerksamkeit übersieht. Und wir sehen: Auf den ersten Blick scheint nichts Besonderes zu passieren, doch tatsächlich passiert ständig etwas.
Wir lernen Hirayama immer besser kennen, wie im Zusammenspiel mit seinem jungen Kollegen Takashi (Tokio Emoto), der das Gegenteil von ihm ist: Jung, laut, geschwätzig, fahrig, uninteressiert, flatterhaft. Wir lernen die Orte kennen, an denen Hirayama seine Freizeit verbringt wie den Imbiss oder der kleinen Bar. In der Pause sitzt häufig eine unbekannte Frau auf einer Bank. Wir kommen mit zu dem winzigen Fotoladen, in den er seine analogen Filmrollen zur Entwicklung abgibt – denn Hirayama fotografiert mit seiner analogen Fotokamera Baumkronen.
Leben in der Harmonie der Gegenwart
Diese Motive symbolisieren genau das, um was es geht: Leben ist jetzt, und es ist flüchtig. Jeder Moment ist mit dem folgenden bereits vorbei, und Hirayama lebt sein Leben still im Hier und Jetzt. Von Langeweile kann keine Rede sein. Denn obwohl es lediglich vermeintliche Kleinigkeiten sind, sind sie Hirayamas Leben. Diese Gegenwärtigkeit der Gegenwart ist vor allem eins: Harmonie. Hirayama ist als Toillettenputzer kein reicher Mann im herkömmlichen Sinne – aber sein Reichtum basiert auf anderen Dingen. Nichts deutet darauf hin, dass er unglücklich ist. Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass sich nach einem anderen Leben sehnt als seinem eigenen.
Nein: Hirayama ist mit seinem Leben wortlos glücklich.
Sein Leben wird selbst vom plötzlichen Auftauchen seiner Nichte Niko (Arisa Nakano) gestört, die von Zuhause ausgerissen ist und bei ihm für einige Zeit unterkriecht. Im Gegenteil: Hirayama bereichert die Jugendliche ebenso wie die junge Frau, die sein Kollege unbedingt rumkriegen will. Während der hektisch und unablässig redet, verliebt sich sie sich in die altmodischen Musik-Cassetten in seinem Auto sowie der Musik, weil sie analog und damit altmodisch sind. Besagte Cassetten spielen auch in einem Musikladen eine Rolle, in dem sein Kollege sie unbedingt zu Geld machen will. Dort stellt sich deren großer Wert heraus, doch Hirayama verkauft sie dennoch nicht.
Was geschah früher?
Alles, was wir über Hirayama selbst erfahren, erfahren wir mehr über Bande als direkt. Als seine Schwester, offensichtlich gut situiert, in einem teuren Wagen vor seiner Tür steht, um die Nichts wieder abzuholen, wird ein Zerwürfnis mit der Familie angedeutet. Hat sich Hirayama zurückgezogen und wenn ja, warum? Warum gibt es auch keinen Kontakt zu Schwester und Vater? Was mag vorgefallen sein? Hat sich Hirayama das Leben ausgesucht, oder ist er geflohen? Die wunderbare Antwort: Es ist unwichtig, denn es liegt in der Vergangenheit. Für einen so gegenwärtigen Film über einen Mann, der harmonisch in der Gegenwart aufgeht, spielt Vergangenheit keine Rolle. Selbst den Ex-Mann der Barfrau, den er kennenlernt, holt er ins Jetzt zurück, denn der hat mit seiner Krebsdiagnose zu kämpfen.
Von der Doku zum Spielfilm
Ursprünglich sollte Perfect Days eine Dokumentation über die Designer-Toillettenhäuschen werden. Doch Wenders sah in dem Projekt mehr und wich vom ursprünglichen Kurs ab, schrieb gemeinsam mit Takuma Takashi ein Drehbuch und erschuf nach vielen preisgekrönten Dokumentationen den ersten Spielfilm seit Jahren. Der Lohn: Weltweiter Erfolg, breite internationale Aufmerksamkeit, eine Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film, Hauptdarsteller Yakusho wurde bei den Filmfestspielen in Cannes als bester Darsteller ausgezeichnet.
Zum Glück! Denn was bleibt? Ein Blick aufs Wesentliche und das Friedvolle, das darin liegt. Dazu braucht es nicht viel Worte, sondern lediglich einen Meister wie Wim Wenders, der es versteht, genau das genau richtig nahezubringen.
Eine Filmperle, die das Anschauen lohnt.
Perfect Days
Japan 2023
Regie: Wim Wenders
Mit: Kôji Yakusho, Arisa Nakano, Tokio Emoto
Länge: 124 Minuten