Die Olympischen Spiele 1972 in München endeten in einem Massaker – eine tragische Geschichte, die wie fürs Kino gemacht ist. September 5 jedoch erzählt glücklicherweise etwas anderes: Wie entstanden die Nachrichten, die damals in die Welt gesendet wurden? Was geschah in den Räumen der Redaktionen vor Ort? Das Ergebnis ist ein herausragender Beweis dafür, dass deutsches Kino verdammt großartig sein kann.
Packender Film voller Spannung
Tim Fehlbaum hat mit September 5 einen packenden Film gedreht, teils Thriller, teils Drama, jedoch immer der Wahrheit verpflichtet. Die Kamera verlässt praktisch nie die Räume des Senders. Wir erhalten einen geradezu intimen Blick auf die Menschen, die – als Sportredakteure eigentlich gar nicht für Nachrichten in diesem Stil zuständig – von den Ereignissen überrollt werden. September 5 ist ein mit nur knapp über 90 Minuten Laufzeit erfrischend dichtes, virtuoses Meisterstück, das geschickt Originalaufnahmen hinzufügt.
Felhbaum gelingt dadurch ein Cocktail verschiedener Spannungen: Überraschen, überrumpeln, überrollen. Das Sportredaktionsteam ist zum Handeln gezwungen und handelt letztlich. Die Kamera von Markus Förderer ist schon allein wegen der überschaubaren Größe der Räume (gedreht wurde auch an Originalschauplätzen) immer nah am Geschehen, nah an den Personen. Wir sehen jederzeit Unsicherheit, Erschrecken, Grauen. Dass der Film sich konsequent einer weiteren Einordnung entzieht, ist ein großes Plus. Um die Authentizität zu erhöhen, wird immer originales Filmmaterial der echten Übertragung anno 1972 eingestreut. Wir sehen sie über Monitore und Fernseher in den Redaktionsräumen. Sie sind auch die einzigen Momente, in denen wir das Geschehen in der Außenwelt sehen. September 5 wird somit zu einem hochspannenden Dokument darüber, was Nachrichten sind und wie sie entstehen.
Durchweg Könner am Werk
Dabei haben wir es in September 5 nicht mit einem reinen Kammerspiel zu tun, sondern mit einem hochspannenden Film, der das Maximum aus Stoff und Umgebung herausholt. Möglich wird das, weil bei September 5 durchweg Könner am Werk sind. Neben Regie und Kamera ist das dem bereits mehrfach preisnominierten Schnitt von Hansjörg Weißbrich zu verdanken – und natürlich einem hervorragenden Cast. Obwohl ein deutscher Film, wurden alle US-amerikanischen Rollen mit US-Amerikanern besetzt. Einzig Leonie Benesch spricht ihre Rolle als deutsche Übersetzerin Marianne Gebhardt im Original teilweise auch auf Deutsch.
September 5 ist kein dokumentarisches Making-of. Dennoch erlaubt er einen interessanten Einblick in die Redaktionsarbeit. Aus heutiger Sicht erstaunt der enorme Einsatz großformatiger Geräte. So in den Maschinenraum der Vergangenheit zu blicken, ist reizvoll. Deutlich wird, um wie vieles riskanter es war, Material zu zerstören – ein falscher Handgriff, und alles war verloren. Wir sehen hochprofessionelle Techniker am Werk, Spezialistinnen, Handwerker. Und wir stellen uns gemeinsam mit ihnen die moralischen Fragen: Was darf man zeigen? Was darf man sagen? Wie geht man mit dem Geschehen um, um es zum Nachrichtenmaterial zu machen?
Diese Fragen sind heute aktueller denn je. Denn alle können eigene, kleine Nachrichtenredaktionen werden mit ihren Handys und hochgeladenen Videos. Das als Münchner Massaker in die Weltgeschichte eingegangene Geschehen war das erste Attentat überhaupt, das mehr oder weniger live im Fernsehen übertragen wurde. Damals oblag es Fernsehteams mit aufwendiger Technik und Ausbildung, über solche Geschehen zu berichten. Damals war Verantwortung noch stärker Gemeinschaftsarbeit und Resultat von Kommunikation untereinander – heute geht das kürzer, privater, gefährlicher. Ein warnendes Lehrstück über den Wandel von Nachrichten ist September 5 glücklicherweise dennoch nicht geworden. Stattdessen zupackendes, mitreißend erzähltes Kino.
Internationaler Ruhm
Untypisch für einen deutschen Film sind die internationalen Nominierungen zu zahlreichen Filmpreisen, einschließlich den Golden Globe – den September 5 letztlich nicht gewann. Doch die Breite an Nominierungen sowie die hervorragende internationale Filmkritik zeigen, dass September 5 ein Film ist, der sowohl von der Machart als auch hinsichtlich der Erzählung selbst international anschlussfähig ist. Solche Leuchttürme kann das deutsche Kino gut gebrauchen. Ob es mit den Oscars klappt, werden wir bald erfahren.
September 5
Deutschland 2024
Regie: Tim Fehlbaum
Mit: Peter Sarsgaard, John Magaro, Leonie Benesch, Ben Chaplin
Verleih: Constantin
Länge: 91 Minuten
FSK: 12