Filmkritik Speak No Evil (2022)

Filmkritik zum dänischen Thriller Speak No Evil von 2022 - https://der-filmgourmet.de

Woher das Böse im Menschen kommt, haben schon viele Filme zu erklären versucht – nur keiner derart finster und konsequent wie Speak No Evil aus Dänemark, der sich viel Zeit nimmt, um zu seiner Antwort zu kommen. Das tat er so erfolgreich, dass 2024 eine US-Version in die Kinos kommen wird.

Zynische Sozialstudie in Thrillergewand

Das dänische Original Speak No Evil von 2022 ist brillant, eben weil er dem Prinzip des Slow Burners folgt und die Spannung nur ganz langsam steigert. Dabei ist schon in der ersten Einstellung klar: Das hier geht nicht gut aus. Eine Fahrt durch die dunkle Nacht, drohende, schwere Orchestermusik leiten das Urlaubsidyll ein, das in der Tragödie endet.

Speak No Evil ist mehr zynische Sozialstudie als Horror, ein finsteres Thriller-Drama, bei dem genaues Hinschauen belohnt wird. Denn Speak No Evil erzählt viel durch Gesichter und Gesten.

Wir folgen dem dänischen Ehepaar Lousie (Sidsel Siem Koch)und Bjørn (Morten Burian) in den Toskana-Urlaub, das dort das niederländische Paar Karin (Karina Smulders) und Patrick (Fedja van Huêt) kennenlernt. Die Paare können gegensätzlicher kaum sein. Während die Holländer zugänglich, einnehmend und lebenslustig sind, führen die Dänen ein gesittetes Mittelschichts-Wohlstandsleben mit Manieren und höflicher Distanz. Sie sind von der Direktheit und Offenheit der Holländer sichtbar beeindruckt – und lassen sich von ihnen Wochen später zu einem Besuch in Holland „auf dem Land“ einladen.

Übergriffigkeiten en gros

Der schöne Schein beginnt schnell, Risse zu zeigen. Der Film exerziert dafür Szenen durch, die immer ungemütlicher werden, steigert sich über kleine Peinlichkeiten zu Übergriffigkeiten. Dass der Film am Ende doch noch zum handfesten Thriller wird, ahnt man lange Zeit nicht.

Spätestens aber ab der Szene, in der Bjørn an der Gartenhütte dem Sohn des Hauses begegnet, ist auch denen die drohende Gefahr bewusst, die deutlicher gewarnt werden müssen. deswegen. Den Grund des Bösen im Handelnden zu suchen – sei es Mensch oder Monster – ist ein Prinzip, das der Film von Christian Trafdrup einfach zurückspielt: Der Grund des Bösen ist auch mangelnder Widerstand. Diese Erkenntnis macht wie der dafür nötige Handlungsaufbau Speak No Evil ironischen, gar zynischen Sozialstudie über Unvermögen und Bürgerlichkeit. 

Der gelangweilte, wehrlose Spießbürger

Doch warum kommen die Dänen Louise und Bjørn überhaupt erst in diese Lage? Dazu streut der Film zahlreiche Hinweise. Gleich zu Beginn sehen wir die beiden, eine Nanny anweisen, der Tochter keinen Apfelsaft zu geben, weil der zu viel Zucker hat. 

Als ihr Kind beim Stadtbummel ihren Stoffhasen verloren hat, macht sich Vater Bjørn pflichtschuldig auf die Suche danach. Sein erster Impuls, auf das Stofftier zu pfeifen, wird gleich in die Schranken gewiesen.

Dieses Prinzip zieht sich durch den Film. Wir lernen Bjørn als vom Leben gelangweilten Mann kennen, der selbst die Schulaufführung seiner Tochter nicht genießen kann, während Louise ganz bei der Sache ist. 

Als Bjørn noch ganz begeistert von der Einladung nach Holland ist, fängt Louise sofort an, pflichtschuldig nach passenden Schuhen für die Tochter zu suchen und unterdrückt seine Freude damit komplett.

Auch das gemeinsame Essen mit den Niederländern in der Toskana und mit den dänischen Freunden zuhause zeigt einen harten Kontrast: Im Urlaub ausgelassenes Leben und Schlemmen, zuhause lächerliche, wohlsortierte Häppchen mit dem Hinweis, dass man ruhig mit den Fingern essen könne, da es genug Servietten gebe.

Ihr Leben in ihrer hübschen, aufgeräumten und auch langweiligen Wohnung in einem dänischen Hochhaus ödet Bjørn sichtlich an. Er ist es auch, der im späteren Verlauf des Films Patrick anvertraut, sein Leben langweilig zu finden und seine Freunde nicht leiden zu können.

Die beiden sind perfekte Opfer: Wohlerzogen, perfekt durchorganisiert, langweilig und damit empfänglich für Ausgelassenheit und Lebenslust, die sie in einem anderen Paar finden. Als Patrick Bjørn heldenhaft nennt, weil dieser den Stoffhasen der Tochter gesucht und gefunden hat, kann der sein Glück kaum fassen.

Die Feigheit der Erzogenen

Die Niederländer stellen schnell die Geduld und das Verständnis ihrer Gäste auf die Probe. Nicht nur, dass Patrick zugibt, im Urlaub bei der Angabe seines Berufs gelogen zu haben: Sie verstoßen schnell gegen immer mehr „normale“ Dinge und Verhaltensweisen, ohne dass Louise und Bjørn aufbegehren. 

Damit laufen sie konsequent ins Verderben. Einige Male möchte man während des Films laut aufschreien, weil die beiden einfach keine Grenzen und Konsequenzen ziehen. Sie bleiben höflich bis über die Schmerzgrenze hinaus. Das gipfelt in der absurden Szene, in der sie erfolgreich die Flucht angetreten haben und wegen einer so banalen Sache wie einem vergessenen Plüschtier tatsächlich zurückfahren. Nicht einmal gegen ihr eigenes kleines Kind können sie sich wehren, so das bittere Motto.

Der Sog von Bild und Musik

Zwar bleibt die Kamera vordergründig neutral, doch macht schon die Ankunft in den Niederlanden klar, dass dieses Haus im Dunst gefährlich ist. Kameramann Erik Molberg Hansen setzt auf dezente Thrillerakzente, im Hintergrund, aber immer manipulativ auf das Unwohlsein des Publikums aus. Wir sehen die meisten Szenen aus der Sicht der beiden Dänen, unheilvoll, teilweise erschreckend und immer von kaltblütiger Ruhe geprägt.

Untermalt wird der Film gleich von Beginn an von einem ungewöhnlich pompösen Orchester-Soundtrack, der unmissverständlich das Böse und Verderben in die anfangs noch harmlose Fassade rammt, um uns pausenlos zu manipulieren. Damit wissen wir von Anfang an mehr als das arglose, in ihrer Mittelschichtswelt gefangenen Dänen.

Komponist Sune Kølster setzt auf Effekt und Größe und liefert einen in jeder Hinsicht hollywoodreifen, bemerkenswerten Score ab, den man so sicher nicht erwarten würde.

Bemerkenswertes Finale

Das Ende von Speak No Evil ist derart finster, dass es einem die Sprache verschlägt. Nicht wegen Gewaltausbrüchen, sondern wegen der grimmigen, zynischen Konsequenz. Denn ganz am Schluss wird klar, warum all dies geschieht – was die Frage aufwirft: Was sagt uns das über uns selbst und der Einstellung dem Bösen gegenüber?
Speak No Evil mischt hier die Karten einfach neu – hart, großartig und wahrhaftig. Ein Ende, das sowohl erschüttert, als auch zu denken gibt und über den Film hinaus beschäftigen kann.

Brillantes, hervorragend gemachtes und erzähltes, großes Kino aus dem kleinen Dänemark, in  dem man sich schon immer mehr traut als im großen Nachbarn Deutschland. 

Ob das US-Remake, das im September 2024 startet, an die Klasse heranreicht, kann zumindest bezweifelt werden. Dafür ist dieser originale Speak No Evil einfach zu gut.

Speak No Evil
Dänemark 2022
Regie: Christian Dafdrup
Mit: Morten Burian, Sidsel Siem Koch, Karin Smulders, Fedja van Huêt, Liva Forsberg, Marius Damslev
Länge: 97 Minuten
Verleih: Plaion 
FSK: 16

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