Filmkritik The Holdovers

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Ensemblefilme sind seit jeher Kino in Reinkultur, und auch Corona und Superheldenschwemme haben diesem Subgenre nichts anhaben können – gut so. Denn sonst wäre die in jeder Hinsicht geglückte Tragikomödie The Holdovers (Die Übriggebliebenen) von Alexander Payne entgangen deren Ensemble wunderbar funktioniert. Oscars und Golden Globes inklusive.

Ein Film voller Wendungen und Herz

Payne und sein Ensemble haben Sinn für Nuancen und erweckten das hervorragende Drehbuch von David Hemingson überzeugend zum Leben. Gemeinsam erschaffen sie einen Film voller Wendungen und Herz, der perfekt zu Weihnachten passt, aber dank seiner liebevollen Darstellung teils schrulliger Charaktere im ganzen Jahr wunderbar funktioniert. 

Wir sehen also einem Trio Übriggebliebener zu, das die Winterferien 1970/71 miteinander verbringen muss: Der allseits unbeliebter Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti), der dazu verdonnert wird, sich um jene Zöglinge zu kümmern, die Weihnachten aus verschiedenen Gründen im Internat verbringen müssen – der Schüler Angus Tully (Dominic Sessa), dessen Mutter Weihnachten lieber mit ihrem neuen Mann verbringen möchte, und der Schulköchin Mary Lamb (Da’Vine Joy Randolph), die um ihren im Vietnam-Krieg gestorbenen Sohn trauert.

Gespür für Momente und Menschen

Drei starke Charaktere mit Würde und Geschichte, die hervorragende Darsteller erfordern – und bekommen. Jede Figur wird sorgsam ausgeleuchtet und erhält immer mehr Tiefe. Eindimensionalität kennt das Drehbuch glücklicherweise nicht. 

Payne behält seine bekannte ruhige Hand und seinen genauen Blick auch in The Holdoversbei. Überhaupt ist er ein Handwerker mit Gespür für Momente und Menschen. Folglich bleibt die Kamera stets nah am Geschehen, den Menschen selbst, die Szenen lassen ausreichend Raum, die Figuren zu entwickeln; eine Vorgehensweise, die Nähe erzeugt. 

Die Handlung von The Holdovers führt uns immer weiter hinein in die Hintergründe und Motivationen jeder Person. Das ist ist immer interessant und überzeugend, an passenden Stellen wunderbar skurril und immer wieder berührend. Lernen wir anfangs jede so kennen, wie sie in den Augen der anderen erscheint, überwinden wir gemeinsam mit ihnen unsere Vorbehalte und Annahmen. The Holdovers ist nicht einfach ein Film über Freundschaft, sondern über das Kennenlernen, Vertrautwerden und die Überwindung von ersten Eindrücken und Vorurteilen. 

Um die drei Hauptpersonen bildet sich ein kleines Netzwerk anderer Figuren, die nicht sinnlos im Erzählraum stehen, sondern ebenfalls Hintergrund und Geschichte haben. Wir tauchen damit nicht nur in die Leben der Figuren ein, sondern in eine Welt, die nicht die unsere ist, da der Film im Winter 1970/71 spielt.

Das Gefühl der 70er

Payne und Kameramann Eigil Bryld nutzen zur Erzeugung des 70er-Gefühls einige Besonderheiten: So ist das Format des Films mit 1,66:1 ein deutlich quadratischeres als üblich, dem früheren Fernsehformat nachempfunden. Und obwohl The Holdovers mit digitalen Kameras gedreht wurde, wurden absichtlich Filter und gerade anfangs ersichtlich leichte „Beschädigungen des Filmmaterials“ hinzugefügt, um ein analoges Gefühl zu erzeugen. Und ja: Die Farben sind durchweg warm, der Film wirkt fast schon gemütlich. Auch beim Ton wurde auf zeitgenössischen Raumklang verzichtet. 

Nachdem Paynes letzter Film Downsizing nicht der erhoffte Erfolg wurde, gelang ihm mit The Holdovers sein Comeback. 5 Oscar-Nominierungen erhielt der Film, neben dem Besten Schnitt allesamt in den Königsklassen Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller und Beste Hauptdarstellerin. Letztlich erhielt Da’Vine Joy Rudolph den Oscar sowie den Golden Globe als Beste Nebendarstellerin.

Paul Giamatti erhielt dafür Golden Globe. 

Ein gelungenes Comeback eines Regisseurs, von dem wir auch in Zukunft weitere Filme sehen wollen.

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