Filmkritik The Substance

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Phänomenal ist wohl die beste Beschreibung für The Substance, diese groteske, grobe, wahnsinnige Horror-Satire und im Kern zutiefst bittere Parabel, die zeigt: Weibliches, feministisches Kino ist bitter nötig, ungemein interessant und außerordentlich kreativ.
Nur ansatzweise eine Variante des Dorian-Gray-Motivs, zeigt uns die französische Regisseurin Coralie Fargeat eine drastische Erzählung über ein schizophrenes Menschenbild voller Metaphern und Codes, ein zutiefst menschliches Drama und blutgetränkten Horror – auch „Frankenstein“ lässt grüßen. Und eine Demi Moore, die ihr fulminantes Comeback erlebt.

Schizophrenie ausbuchstabiert

The Substance zeigt uns Schizophrenie, Selbsthass und Selbstekel auf eine bislang ungesehene Weise. Die 50-jährige Elisabeth Sparkle (Demi Moore) war früher gefeierter Filmstar, nun hat sie eine Sportsendung im Frühstücksfernsehen – und wird an ihrem Geburtstag von ihrem Chef vor die Tür gesetzt, da zu alt. Elisabeth fällt in ein Loch. Ihre vielsagend konstruierte Luxuswohnung mit ihren labyrinthischen Gängen und ihrem klinischen Bad symbolisiert dabei ihre Verlorenheit in einem Leben voller Reichtum, aber ohne Sinn. Sie selbst ist auch als überlebensgroßes Bild das Hauptobjekt ihrer unpersönlichen Wohnung.

Da kommt ihr die dubiose Möglichkeit gerade recht, mit „der Substanz“ eine jüngere Ausgabe von sich zu erschaffen, die fortan Erfolg hat und sogar ihre eigene Show übernimmt – und letztlich auch ihr Leben. Damit verstößt die junge Version namens Sue (Margaret Qualley) gegen einen Faustschen Pakt, der sich ihr so nie dargestellt hat. Sie hat vorher einfach weder Fragen gestellt, noch das Kleingedruckte gelesen.

Ihr seid eins

Kernsatz des Film ist „Ihr seid eins“, ohne den The Substance nicht verstanden werden kann. Denn obwohl wir zwei scheinbar verschiedenen Personen zuschauen, ist jede von ihnen doch nur eine Repräsentanz einer Hälfte. Natürlich sehen wir kein reales Geschehen, sondern eine Schizophrenie-Methapher – aber keine klinische Schizophrenie als diagnostizierte Krankheit, sondern als gesellschaftlicher Befund. Elisabeth und Sue kämpfen im Grunde gegen sich selbst und merken es nicht. Auch uns geht diese Gewissheit immer wieder verloren, schließlich zeigt uns Fargeat zwei gänzlich unterschiedliche Personen mit eigener Agenda. Dass die Trennlinie so sehr verschwimmt, ist wirkmächtiges Konzept des Films. Fargeat macht im Zeigen von Entfremdung, Selbsthass und Verzweiflung keine Kompromisse, und das ist gut so.

Macht, Selbstermächtigung, Verantwortung

Der Film legt in permanenter Überspitzung Machtpositionen und ihre Abhängigkeiten offen. Macht haben hier nur die Männer, und ja: Keiner von ihnen kommt gut weg in diese, Film. Dennis Quaid als schmieriger TV-Boss ist eine alberne Karikatur eines typischen Machtmenschen, selbstverliebt, laut, oberflächlich und gerade deshalb so gnadenlos. In schrillen Anzügen fegt er durch schnelle Schnitte auch auf allerlei unliebsame Details – Thema Essen beispielsweise. Auch die anderen Männer sind bestenfalls Idioten, wie Elisabeths Nachbar oder „die Investoren“. Lächerliche Typen sind es also, die Frauen umgeben, aber auch über ihre Karriere und ihr Leben entscheiden. Dass sich Elisabeth mit ihrer verhängnisvollen Tat ihr Leben, ihre Karriere und damit auch ihre Selbstbestimmung zurückholen will, ist nur folgerichtig. Sie gibt dem Zwang und dem Druck nach

Doch Moment: Ist Elisabeth in einer Notlage? Ihre prachtvolle Wohnung zeugt vom Gegenteil. Finanziell nötig hat sie ihren Schritt also keineswegs. Schaut man sich in dem seelenlos Labyrinth ihrer Wohnung um, wird schnell klar: Viel ist da nicht, Elisabeth ist als Person kaum greifbar. Wir sehen in die Wohnung einer leeren, seelenlosen Person, die außer Ruhm und Selbstbespiegelung nichts kennt. Schließlich gibt es auch kein soziales Umfeld: Familie, Freunde – Fehlanzeige.

Warum fragt sie sie nie, wer hinter der Substanz steckt? Warum stolpert sie ohne Recherche, ohne Hinterfragen, ohne Gespräch über Nebenwirkungen? Sie macht sich blindlings von einem windigen Angebot abhängig, ohne über Kosten und Konsequenzen nachzudenken. Elisabeth schließt einen Pakt mit dem Teufel aus Egogründen und ist in dieser Hinsicht kaum anders als die machtgierigen Männer.

Hier zeigt sich die geniale Dialektik des Films: Zum Verderben gehören mindestens zwei, und hier zeigt sich das Perfide des „Systems“, das Menschen in Abhängigkeiten treibt, die sie ins Verderben reißen.

Bunt, schrill, anachronistisch

Dass wir es mit der Welt von The Substance mit einer Kunstwelt zu tun haben, zeigt sich an vielem: Die Show scheint wie aus den 80ern, bestenfalls den 90ern gefallen zu sein. Eine alte, altmodische und überkommene Welt der Vergangenheit, die besagtes „System“ sowohl symbolisiert als auch karikiert. Elisabeth bemüht sich, in dieser Welt zu bleiben, anstatt den Schritt zu gehen, ihr wirklich zu entkommen.

Bunte Farben, teilweise krasse Schnitte, eigenwilliges Set-Design und nicht zuletzt der atonale Score sprechen jeweils Bände.

Und das Finale? Schon zu Beginn, wenn der Burger auf Elisabeths Stern am Walk of Fame fällt, mag man ahnen, dass es wild zugehen wird. Doch niemand ist auf das vorbereitet, was im Finale tatsächlich passiert. Ja, es ist übertrieben, ja, es ist geschmacklos, ja, es ist schlicht wahnsinnig. Das Finale von The Substance kann mühelos in die Top-Riege wahnsinniger Filmenden aufsteigen. Die Frage ist berechtigt: Muss das sein? Und was soll das alles?
Dass Fargeat ihr satirisches, karikierendes Konzept so gnadenlos durchzieht, ist bewundernswert, und ja, sie wagt viel damit. Damit bringt sie den Film jedoch schlüssig und gnadenlos genial zu Ende. Von daher: Ja, das Ende muss so sein.

Der Film gewann für seine haarsträubende Geschichte den Preis für das beste Drehbuch beim Filmfestival von Cannes 2024, wo er seine Weltpremiere feierte. Seither wird der kontroverse Film von Kritik und Publikum geliebt und verehrt. Allerdings muss man für Filme wie diesen aufgeschlossen gegenüber sein und Zugang finden. Für ein breites Publikum ist der Film ganz sicher zu speziell.

Ein Hoch auf Demi Moore


Wohl kaum ein weiblicher Hollywood-Star hat den Sturz von Erfolg zu Kassengift so erlebt wie Demi Moore. Nun ist ihre Hauptrolle nicht nur ein eindrucksvolles Comeback nach jahrzehntelanger Bedeutungslosigkeit, sondern auch eine Empfehlung für den nächsten Oscar. Die 61-Jährige, die ganz dem satirischen und karikaturhaften Konzept des Films eine 50-Jährige spielt, gibt in The Substance buchstäblich alles. Mit ihren Nacktszenen zeigt sie zudem Mut und Entschlossenheit, die Respekt verdienen.

Sie, die vor allem von der Filmkritik seit jeher belächelt wurde, zeigt nun, was in ihr steckt – das ist wundervoll zu sehen. Fast kann man an Gloria Swanson denken, die 1950 in Boulevard der Dämmerung eines der spektakulärsten Comebacks der Filmgeschichte feierte.

Ein fantastischer, garstiger, extremer Film, der seinen Platz in der Filmgeschichte einnehmen wird.

The Substance
USA/GB/Frankreich 2024
Regie: Coralie Fargeat
Mit: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
Produktion: MUBI, Working Title
Länge: 140 Minuten

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