Filmkritik The Whale

Filmplakat The Whale - Der Filmgourmet

The Whale zeigt: Es gibt sie noch, die Hollywood-Märchen. Das Comeback von Brendan Fraser ist das spektakulärste der letzten Jahre. Das Video der 6-minütigen Standing Ovations für Fraser nach der Premiere beim Filmfest von Venedig, die ihn zu Tränen rührten, ging viral. Der Imagewandel eines ehemaligen „sexiest man alive“ in einen fettleibigen Koloss, der nach einem Schicksalsschlag mit dem Leben abgeschlossen hat, ist seit Monaten in den Medien, sein Oscar-Gewinn ein großes Thema.

Das Independent-Kino lebt

Für ein Film dieser Thematik, der auf einem Theaterstück basiert und nur in einer Wohnung spielt, schlug sich The Whale an den Kinokassen wacker – aber das Messen an Einspielergebnissen hat ein Film wie The Whale gar nicht nötig. Produziert vom rührigen Independent-Studio A24, das erst seit 2012 Hollywood mit beeindruckenden Filmen jenseits des Mainstreams rockt, ist der Film Beweis, dass das Kino jenseits von Blockbustern und Dauerbeschallung von Marvel und DC noch lange nicht tot ist. Es regnete weltweit über 150 Nominierungen, wobei die Oscars für die beste männliche Hauptrolle sowie das beste Make-up die prominentesten Auszeichnungen sind.

The Whale ist emotionales Kino

Dabei ist The Whale für A24-Verhältnisse eher konventionell. Erzählt wird die Geschichte des einsamen, zurückgezogenen Charlie. Charlie ist nach dem Tod seines Lebenspartners in ein tiefes Loch gefallen und hat sich über die Zeit ein enormes Gewicht angegessen. Er schämt sich dermaßen für sein Aussehen, dass er bei seinen Online-Kursen die Kamera auslässt und sich auch dem regelmäßig vorbeikommenden Pizzaboten nicht zeigt. Nachdem er an einem Bissen fast erstickt wäre und von seiner besten Freundin Liz (Hong Chau) die Diagnose erhält, wegen seiner Werte nicht mehr lange zu leben, kontaktiert er nach Jahren seine Tochter Ellie (Sadie Sink). Die Minderjährige macht ihm ihm harte Vorhaltungen, schließlich hatte Charlie für einen Mann die Familie verlassen, als Ellie acht Jahre als war. Auch taucht plötzlich der junge Missionar Thomas (Ty Simpkins) auf, der sich zum Ziel setzt, Charlie auf seine Weise zu helfen.

Alle Personen betreten mehr oder weniger die Bühne – schließlich basiert The Whale auf dem gleichnamigen Theaterstück von Samuel D. Hunter, der auch das Drehbuch verfasste. Das mag der Grund dafür sein, dass man dem Film seine Herkunft so deutlich anmerkt. The Whale ist enorm dialoglastig, wie es sich für ein Theaterstück gehört und bietet viele erstaunlich weise Sätze. Der Kamera von Matthew Libatique gelingt dabei das Kunststück, über die ganze Laufzeit immer neue Winkel und Bereiche der Wohnung zu zeigen, was dem Film die notwendige Dynamik verleiht. 

Kein Film von A24 war jemals so emotional wie The Whale. Schon mit dem weltweiten Hit und Oscar-Abräumer Everything Everywhere All At Once hat A24 eine erstaunlich gefühlige Story erzählt – wenn auch im wilden, kunterbunten SF-Gewand – nun greift The Whale nach den ganz großen Emotionen. Das macht der Film glaubwürdig, authentisch und zu Herzen gehend. Es sind gerade die kleinen Szenen, die besonders überzeugen. Wenn Charlie sich fürchtet, sich dem unbekannten Pizzaboten zu zeigen, der regelmäßig vorbeikommt. Wenn er eine frustrierte Heißhungerattacke bekommt. Oder wenn Charlies beste Freundin und Krankenpflegerin Liz an seiner Sturheit verzweifelt und sich darauf einstellt, dass er bald sterben wird. Lediglich in den letzten zwei Minuten wäre etwas weniger mehr gewesen. 

Feinfühlige Darstellung von Brendan Fraser

Brendan Fraser, Frauenschwarm und Kinostar der 90er-Jahre und frühen 2000er, spielt sich bei The Whale in einem über 130 Kilo schweren Kostümdie Seele aus dem Leib. Dabei ist er gerade in den kleinen Szenen fast noch besser und überzeugender als in denen mit besonderer Dramatik. Fraser spielt seinen vielschichtigen Charakter mit Bravour. Er ist Lehrer und unterrichtet, hat aber mit dem Leben abgeschlossen. Er schämt sich für seinen Zustand, ändert aber nichts daran. 

Er hat mit dem Leben abgeschlossen und seinem drohenden Tod gegenüber gleichgültig, sorgt sich aber um das Leben seiner Tochter. Er hat sein Familienleben zerstört, möchte aber verantwortungsvoller Vater sein. Er hat zwar seine Frau für einen Mann verlassen, liebt sie aber dennoch. Charlie ist nicht einfach zu fassen – eine besondere Stärke der Geschichte – und Fraser lässt Charlie in all seinen widersprüchlichen Charakterzügen würdevoll, liebevoll und liebenswert erscheinen. 

Das Problem beim Theaterstück als Film

Eines aber gelingt dem Film nicht vollständig: Sich vom Theater zu lösen. Was auf einer Bühne in Ordnung ist, muss nicht zwangsläufig auf der Leinwand genauso funktionieren. So folgt der Film der Struktur eines Theaterstücks auch da, wo eine Anpassung an das Medium Film besser gewesen wäre. Alle Personen kommen in jeder Szene gleich derart zur Sache, dass es im Film nicht so glaubwürdig ist wie auf der Bühne. Vor allem die Figur der Tochter Ellie hat kaum Raum und Zeit, mehr zu sein als wütend, ablehnend und beleidigend. Warum Charlie trotz allem so sehr das Gute in ihr sieht, ist im Film weniger plausibel als im Theater.

Auch für Regisseur und Oscar-Preisträger Darren Aronofsky markiert The Whale ein Comeback. Fünf Jahre hat er sich nach seinem kontrovers aufgenommenen mother! Zeit für einen neuen Film Zeit gelassen. Mit The The Whale hat er sich für einen Stoff entschieden, der um einiges weniger exzentrisch ist als viele seiner Werke wie Requiem for a dream, The Fountain, The Wrestler, Black Swan und nicht zuletzt mother!. Treu geblieben ist er seinem Fokus auf außergewöhnliche Charaktere. Frasers Person ist bei diesem Film derart wirkungsstark, dass von Aronofsky kaum die Rede ist – ein Novum in seiner Filmographie. Auch das kann ein Karrieresprung sein: Als Regisseur derart hinter seinen Hauptdarsteller zurückzutreten, dass man fast unsichtbar wird. Aronofsky kann es sich leisten. 

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