Die meisten Legenden werden mit dem Alter besser. Das liegt weniger an den Legenden selbst als an der Zeit. So ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass der SF-Klassiker Blade Runner anno 1982 nicht nur finanziell scheiterte, sondern auch meist miese Kritiken bekam.
Einen ähnlichen Weg geht nun Blade Runner 2049: Eine Fortsetzung, die sich niemand vorstellen konnte, dann aber heiß erwartet wurde – und wie der Vorgänger an den Kinokassen keinen Erfolg verzeichnet.
Immerhin ist das Kritikerlob diesmal einhellig begeistert. Ganz klar: Blade Runner 2049: ist ein wirklich großer Wurf und ein Monolith von einem Film, der so gut ist, dass die Frage erlaubt ist, ob er als Fortsetzung würdig ist oder das Original als Vorgeschichte.
Regisseur Denis Villeneuve hat bereits mit Arrival einen intelligenten, gar intellektuellen Beitrag zum Sience-Fiction-Film beigetragen und krönt sich mit Blade Runner 2049: zum Meister des Genres.
Unter seiner meisterhaften Regie entstand ein satter 164 Minuten langer Traum mit atemberaubenden Bildern. Dessen Erzählung ist so lyrisch-schön ausgefallen, wie man es in der Science Fiction in dieser Darbietung und mit dieser Dichte nur alle Dekaden zu sehen bekommt.
Villeneuves entfaltet das Drehbuch von Hampton Fancher und Michael Green zu einer visuell prachtvollen Geschichte, die mit Andeutungen eine Welt entfaltet, auf die wir uns nicht freuen dürften. Dass Fancher auch die Story beisteure und bereits für Blade Runner das Drehbuch mit verfasste, kommt der Erzählung zugute. Dabei ist Blade Runner 2049: in zahlreichen Punkten weitaus realistischer und aktueller als Blade Runner.
Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, die bereits in Blade Runner 1982 ins Wanken gerieten, sind nun in Blade Runner 2049: aufgelöst: Die künstlichen Replikanten haben eine menschengleiche Lebenszeit, verfügen über ausdifferenzierte und eigene Erinnerungen und haben sogar Beziehungen – wie der Replikant K. (Ryan Gosling), der in einer Beziehung mit einer künstlichen Intelligenz zusammenlebt, die sich als weibliches Hologramm zeigt und K. die menschliche Erfahrung der Liebe bietet. Immerhin ist diese Gefährtin der Liebe fähig. Als K. ihr zum Jahrestag einen tragbaren Transmitter schenkt, mit dem sie sich auch außerhalb der Wohnung materialisieren kann, ist dies einer der Höhepunkte des Films.
Doch K. ist ein Blade Runner, der Jagd auf andere Replikanten macht – auf seinesgleichen also. Er, der das Leben eines Menschen führt, hindert andere Replikanten daran, es ihm gleichzutun.
Blade Runner 2049 geht nicht nur visuell erheblich weiter als der Vorgänger vor 35 Jahren, sondern stellt auch weitreichendere Fragen. Nicht einfach die Frage „Was ist der Mensch“ steht hier im Fokus, sondern „Wann ist ein Wesen ein Wesen?“ Dies bringt eine unvergleichliche Liebesszene so konsequent, schön und ergreifend auf den Punkt, wie es noch keine Zukunftsversion geschafft hat.
Die Grenzen verschwinden auf zahlreichen Ebenen einer extrem ruhig erzählten, in ihren Bezügen und Andeutungen aber komplexen Geschichte: Was ist K. und woher kommt er? Gosling ist als K. die Traumbesetzung. Sein reduziertes Spiel lässt das Brodeln der Fragen, der Unsicherheit und der Verletzlichkeit fühlbar werden, und an wenn an einem Punkt K. einen Gefühlsausbruch bekommt, trifft das ins Herz.
Der inzwischen unglaubliche 14 Mal für einen Oscar nominierte und für Blade Runner 2049 auch ausgezeichnete Kameramann Roger Deakins zaubert Bilder auf die Leinwand, die trotz der Tristheit einer kaputten Welt poetisch schön sind. Die Menschheit vegetiert in den Trümmern ihrer selbst, Ruinen, gigantische Müllhalden, verstrahlten Städten. Jedes Bild und jede Minute ist ein Abgesang der Menschheit auf die Menschheit, die hier ums Überleben kämpft – und im Hass gegen Replikanten lebt. Denn eines ist klar: Die Replikanten sind in dieser Welt die überlegene Spezies, während die Menschheit sich in wuseligen Slums ihrem Schicksal ergibt – selbst die grelle Technologie bringt weder Vergnügen noch Erlösung: Stattdessen ist sie nichts weiter als Werbung. Die wahren technologischen Innovationen liegen in der Hand eines Konzerns, der zudem die ganze Menschheit mit spezieller Nahrung versorgt – das ist so aktuell wie zynisch.
Die Menschheit erscheint nur noch in Erinnerungen oder fehlerhaften Aufzeichnungen, wie in der großartigen Casino-Szene. Die Welt erlitt vor einigen Jahren durch einen gigantischen EMP einen epochalen Datenverlust – Daten sind hier gleichzusetzen mit Erinnerung, ein fataler Irrtum der heutigen Zeit. Die Geschichte wurde nach dem EMP neu geschrieben: Von Konzernen. Eine unbeschreibliche Macht und ein leider nicht mehr unrealistisches Szenario. Auch hier geht Blade Runner 2049 erheblich weiter als sein Vorgänger.
Villeneuve sagt mit jeder Einstellung mehr, als auf der Leinwand zu sehen ist. Jede Szene hat Zeit, sich zu entfalten und zu wirken, was die üppige Laufzeit von 165 Minuten erklärt. Schneller erzählt, wären dem Film allerdings diverse Dimensionen verloren gegangen – dass ein derart doppelbödiger, kühner Blick in die Zukunft mit 185 Millionen Dollar Budget ausgestattet werden durfte, ist ein Glücksfall.
Denn groß ist Blade Runner 2049 gerade dann, wenn die Bilder Bände erzählen: Dass Los Angeles von einem gewaltigen Damm gegen Fluten bewahrt wird: Ist das nur ein Staudamm, der zur Stromgewinnung eingesetzt wird, oder schützt der wirklich vor gestiegenen Wasserpegeln? Wer hat warum die Atombombe auf Las Vegas geworfen? Und wie ist dieser Konflikt ausgegangen? Woher kommen die gigantischen Schuttberge?
Es gibt viele Erzählungen hinter der Erzählung des Films.
Blade Runner 2049 ist ebenso geruhsam erzählt wie Blade Runner von 1982. Wem das Original schon zu langweilig war, wird in Blade Runner 2049 keine Beschleunigung erwarten dürfen. Dabei kann man Villeneuve gar nicht genug dafür danken, dass er sich so viel Zeit genommen hat. Ohne diesen Kniff wäre von der Melancholie nichts spürbar und wäre der Film nur gelackte Oberfläche, wie sie seit Jahren gnadenlos ins Kino gerammt wird. Dem blockbustergewöhnten Kinogänger der Multiplexe könnte allerdings dieser Film zu träge sein und in seiner Vielschichtigkeit zu verkopft sein. Blade Runner 2049 ist ebenso geruhsam erzählt wie Blade Runner von 1982. Wem das Original schon zu langweilig war, wird in Blade Runner 2049 keine Beschleunigung erwarten dürfen. Dabei kann man Villeneuve gar nicht genug dafür danken, dass er sich so viel Zeit genommen hat. Ohne diesen Kniff wäre von der Melancholie nichts spürbar und wäre der Film nur gelackte Oberfläche, wie sie seit Jahren gnadenlos ins Kino gerammt wird. Dem blockbustergewöhnten Kinogänger der Multiplexe könnte allerdings dieser Film zu träge sein und in seiner Vielschichtigkeit zu verkopft sein.
Überwältigend auch diesmal sind die Bilder. Anstatt uns erneut mit Panoramen eines nächtlichen, verregneten Los Angeles beeindrucken zu wollen, schlagen uns nun Bilder aus der Umgebung in den Bann, die die Erzählwelt auch räumlich ausweiten. Ob triste Landschaften mit endlosen Farmen, in denen nichts Natürliches mehr wächst geschweige denn lebt, gigantische Müllberge oder erschütternde Einblicke in das atomverseuchte Las Vegas: Rekord-Kameramann Roger Deakins holt das Maximum an Optik und Atmosphäre heraus. Unfassbare 14 Mal wurde er bereits für den Oscar nominiert, ohne bislang ausgezeichnet zu werden – eigentlich ein Witz. Dabei gehen Skyfall, Sicario , Prisoners und True Grit ebenso auf sein Konto wie No Country for Old Man, Fargo und Die Verurteilten.
Anders als das Original verzichtet Blade Runner 2049 auf die Musik von Vangelis. Diesmal übernahmen die vielbschäftigten Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch, dessen große Karriere in diesem Jahr richtig begonnen hat. Sie ersetzten Villeneuves Hauskomponist Jóhann Jóhannsson , der im August kurzfristig aus dem Projekt ausschied. Villeneuve kommentierte Spekulationen über den Grund, dass die Musik mehr in Richtung Vangelis gehen sollte. Ob die beiden Künstler sich zerstritten oder ob es eine gemeinsame Entscheidung war, ist noch offen. Zimmer und Wallfisch steuern nun einen technischen Score bei, der den Film in seinen Szenen effektvoll unterstützt – allerdings häufig ohne erkennbare Melodie. Als eigenständige Musik wie der von Vangelis dürfte sich der Soundtrack also kaum eignen. Allerdings benötigt Blade Runner 2049 kaum Musik und kommt zum größten Teil auch ohne aus – eindeutig eine Stärke des Films.
Nun wird die Zeit entscheiden müssen, welcher der beiden Teile der größere Klassiker sein wird. Ein Meilenstein ist Blade Runner 2049 in jedem Fall bereits schon jetzt.
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