Filmkritik Civil War

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Civl War von Alex Garland hat 2024 einigen Wirbel ausgelöst: Soll das Dystopie sein, Science-Fiction, Gegenwartsbeschreibung? Wagt der Film einen Ausblick in eine nahe Zukunft, gewährt er einen Einblick in die Gegenwart, und was erzählt er überhaupt? Wie aktuell ist dieser Film gerade jetzt? Selten traf ein Film derart kontrovers in eine Welt- und Gemengelage, die ihn umso erschreckender und wichtiger machen. 

Wie Bürgerkriege entstehen

Garlands Civil War zeigt, wie ein Bürgerkrieg im heutigen Amerika aussehen kann, was er für ein Land und seine Bevölkerung bedeutet. Er zeigt aber auch, wie Bürgerkriege überhaupt erst möglich werden: Durch Anpassung und Abstumpfung, durch die Trennung zwischen Diese und Jene. Das Ergebnis: Ein packendes, erschreckendes und überzeugendes Drama, spektakulär in Szene gesetzt, mutig erzählt, teils grausam anzusehen. Garland hält drauf, wenn andere wegschauen, und stellt dabei unbequeme Fragen. 

Garlands Kunstgriff: Er wertet den stattfindenden Bürgerkrieg nicht, er gibt auch nicht preis, wie es soweit hat kommen können. Sein Film zeigt nahezu dokumentarisch die Verhältnisse in einem Land, in dem sich die Menschen gegenseitig bekämpfen. Die Gründe werden nicht konkret benannt, liegen eher in der Luft: Die Spaltung einer Gesellschaft in „richtige“ Amerikaner und die anderen beispielsweise, die Verrohung menschlicher Sitten, der Verfall von Empathie und Mitgefühl. Garland gönnt uns nicht den Ausweg ins Geschönte, Fiktionale oder Wegsehen. Deshalb vermeidet er auch allzu viel Erzählendes, was von der Aussage und Wirkmacht des Films ablenken könnte. Er hübscht seine strenge Erzählung nicht mit all jenen Story-Einschüben auf, die man in Hollywood gewöhnt ist. So bleiben wir im Thema, und das ist unbequem. 

Gesellschaft am Ende des Zusammenhalts

Schon in einem Drehbuch zum Zombie-Klassiker 28 Days Later von Danny Boyle beschrieb Garland anschaulich eine kollabierte Gesellschaft. Es gilt das Recht des Stärkeren, Leben ist gleichzeitig Überleben – auch seine Drehbücher zu The Beach (deren Romanvorlage er ebenfalls schrieb), Dredd, Sunshine oder Alles, was wir geben mussten fokussieren sich auf Themen das Thema Überleben in erodierenden oder unmenschlichen Systemen. 

Zimperlich war Garland nie, doch die Bilder in Civil War sind knallhart. Das sieht man schon in den ersten Minuten, die verschiedene reale Nachrichtenbilder zeigen. Der Tenor ist gesetzt: Menschen tun einander die schrecklichsten Grausamkeiten an, taten es schon immer, tun es noch. Wir sehen im weiteren Verlauf des Films Menschen, die an Galgen hängen, wir sehen Einschüsse in ihrer ganzen Scheußlichkeit, wir sind als Zuschauer dabei, wenn ein Körper überfahren wird.

Garland findet mit seinem Kameramann Rob Hardy dafür so Eindruckswolle, wie grausame Bilder. Aber Garland erzählt uns die Mechanismen dieser Entfremdung auf ungewohnte Weise:

Vordergründig geht es um die Fotojournalistin Lee Smith (Kirsten Dunst), die zunächst gegen ihren Willen die junge Frau Jessie Cullen (Cailee Spaeny) unter ihre Fittiche nimmt, die ihr nacheifern will. Lee bringt Jessie nicht nur bei, wie sie am besten fotografiert, sondern wie sie sich gegen das, was sie sieht, abstumpft und immun macht.

Gebrochenheit und Zynismus

Das macht Garlands Civil War zum Meisterwerk. Wir sehen, dass Teilnahmslosigkeit, dass Abkapseln, Beobachten und Nicht-Eingreifen den Bürgerkrieg letztlich mit begründen. Zwar schauen die Reporter in diesem Film hin – aber sie halten persönlich Distanz zum Geschehen, sind sogar Nutznießer der Situation. Ihr Geschäft ist schmutzig, denn es basiert auf dem menschlichen Elend anderer. Die Zuschauer werden Voyeure. Dunsts Charakter Lee ist innerlich gebrochen und leer, denn ihre Mission, über den Krieg aufzuklären, hat nicht zum Ende des Kriegs beigetragen. Sie muss mit ansehen, dass sich ihre eigene Entwicklung in Jessie wiederholen wird. Das wird vor allem in den letzten Szenen des Films auf zynische Weise deutlich.

Auch ihr Begleiter Joel (Wagner Moura) macht eine Entwicklung durch. Er hat es sich in Humor und Zynismus gemütlich gemacht. In einer Szene sehen wir ihn kurz nach einem Schusswechsel mit mehreren Toten lachen. Auch andere Kollegen schaffen es, in dem Elend auf den ersten Blick Spaß zu haben. Wir sind als Zuschauer dabei, wenn auch ihnen letztlich das Lachen vergeht, denn: Der Bürgerkrieg kennt keine Gnade und macht keine Ausnahmen.

Wie wahrscheinlich ist der Film?

Bestürzend ist Civil War wegen seiner Wahrscheinlichkeit. Und ja: Garland will mit seinem Film erschrecken, er will bestürzen. Nur wenige dürften sich den Film ansehen können ohne zu wissen, dass sich in den USA schon längst ein Klima zusammenbraut, das sich in einen Bürgerkrieg entladen könnte. Aber nur dort? Kriege sind die letzten Mittel, wenn Kommunikation nicht mehr möglich ist. Civil War zeigt Gespräche allenfalls unter Gleichgesinnten. Alle anderen sind entweder Arbeitsmaterial oder Gegner. 

Dafür fährt Garland ordentlich auf: Das Independent-Label A24 stellte ihm mit rund 50 Millionen Dollar das größte Budget der Studiogeschichte zur Verfügung. Der Einsatz an Material ist beachtlich und sichtbar aufwendig. Es hat sich gelohnt: Civil War ist überzeugend, beklemmend, schockierend und in jeder Hinsicht sehenswert.

Civil War
USA 2024
Regie: Alex Garland
Mit: Kristen Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny, Nick Offerman 
Studio: A24
Länge: 110 Minuten
FSK: 16

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