Filmkritik Close

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Close, nah also, ist das Kennzeichen von Liebe und Freundschaft. Das macht sie auch gefährlich, wenn diese Nähe nicht oder nicht mehr erwidert wird. Das einfühlsame Drama Close erzählt die Geschichte einer solchen Entfremdung. Die Fragen, die auftauchen, lauten: Musste es zwangsläufig so weit kommen? Und was bedeuten sie für die Betroffenen?
An Close ist besondern eindringlich, dass in diesem Film die Betroffenen Léo und Rémi Jungen im Alter von erst 13 Jahren sind. Sich einen Reim auf das zu machen, fällt ihnen ihres Alters wegen besonders schwer, und auch Erwachsene würden nicht unbeschadet aus diesen Verwicklungen entkommen.

Ein Film, der einem das Herz herausreißt

Close ist einer jener Filme, die nicht einfach zu Herzen gehen, sondern die weh tun. Auf stille Art reißt er einem das Herz heraus. Gemacht für ein erwachsenes Publikum, stürzt er es in einen Strom aus Mitleid und Verständnis für beide Seiten. Denn als Erwachsene wissen wir, dass auch Léo, der wie aus heiterem Himmel auf Distanz zu seinem besten Freund Rémi geht, aus seiner mangelnden Lebenserfahrung gar nicht anders kann. Wir sehen beiden Seiten mit Verständnis dabei zu, wie sie unter der Erfahrung leiden. Und nehmen teilweise atemlos und mit einem Kloß im Magen Anteil am Schicksal der beiden. Close zeigt in ruhigen Bildern einen wunderschönen Sommer, der auch dann noch wunderbar bleibt, als sich der Keil zwischen die beiden Freunde schiebt.

Regisseur Lukas Dhont macht nicht viel Theater beim Erzählen seiner Geschichte. Anfangs sind Léo und Rémi noch unzertrennliche Freunde fürs Leben, wie sie anfangs noch denken. Ganz selbstverständlich machen sie alles miteinander, auch gemeinsam im Bett zu schlafen. Unschuldig, wie sie noch sind, denken sie sich nichts dabei. Dass es ihr letzter gemeinsamer Sommer wird, weiß keiner von ihnen.

Das Ende eines Sommers ist das Ende einer Kindheit

Aber die Pubertät bringt Umdenken und damit Unbehagen. Nach dem Ende des Sommers kommen beide auf eine neue Schule, in der das Leben anders läuft: Die kindlich-naive körperliche Nähe der beiden zieht hier Fragen nach sich, die ihnen zuvor niemand gestellt hat. Das Ende des Sommers steht für das Ende der Kindheit. Der erste Schritt zum Erwachsenwerden setzt nun ein, sie sind nun keine Kinder mehr, sondern Jugendliche. In der Welt der Jugendlichen gelten andere, neue Regeln, die unmittelbare Konsequenzen nach sich ziehen. Was vorher selbstverständlich war, wird nun bewertet und nach neuem Wertekanon sanktioniert.

Léo lernt diese neue Welt kennen und zieht sich zurück, ohne dabei Rémi als Freund verlieren zu wollen. Er emanzipiert sich und zieht Grenzen, wo bislang keine waren.
Das Leid, das er damit anrichtet, kann er in seinem Ausmaß unmöglich erkennen. Während Léo sich in eine Richtung entwickelt, macht Rémi diesen Schritt nicht mit. Er versteht nicht, was er plötzlich falsch machen soll und hat kein Rezept, was richtiger wäre.
So sehen wir beiden dabei zu, wie sie mit der neuen Situation umgehen. Es ist leicht, das Geschehen mit der eigenen Vergangenheit abzugleichen. Verletzungen dieser oder ähnlicher Art sind nichts Ungewöhnliches, und so erscheinen sie den meisten als zwar grausam, aber unvermeidbar.

Präzise Regie, sensationelle Nachwuchsdarsteller

Großes vordergründiges Tamtam ist dafür nicht nötig. Lukas Dhonts präzise Regie lenkt den Fokus genau an die wesentlichen Stellen – und was die beiden überaus talentierten Nachwuchsdarsteller Eden Dambrine (Léo) und Gustav De Waele (Rémi) leisten, ist außerordentlich. Sie meistern jede Nuance mit großem Können, und es wäre eine Schande, wenn man sie nicht in anderen Filmen wiedersähe. Die beiden tragen den Film, und Regisseur Dhont vertraut ihnen zu Recht. Die Kamera bleibt meist auf Augenhöhe der beiden Kinder und zieht uns unmittelbar in ihre Welt hinein. Was sie an Sommer, Harmonie und Nähe zeigt, lässt niemanden ungerührt. Dass sie schließlich auch nah an den Gesichtern der beiden Jungen bleibt, die sich entfremden, macht sie so präzise wie schmerzhaft.

Auf diese Weise sehen wir auch in den schmerzhaften Momenten große Menschlichkeit. Das zeigt sich nicht nur in den Szenen großer Nähe unter den Freunden, sondern auch im Umgang miteinander in den Familien. Wir sehen, wie ein großer Bruder zärtlich den kleinen Bruder tröstet, womit der Film auch zeigt, wie Nähe, auch körperlicher Natur, funktionieren könnte. Eine Nähe wie diese wäre auch den beiden Freunden zu wünschen, aber da sie sich außerhalb des familiären Rahmens bewegen, ist sie nicht möglich. Hier zeigt sich ein Unterschied, der allerdings nicht überbrückt werden kann.

Was bedeutet Männlichkeit bei Heranwachsenden?

Dies ist ein zentrales Dilemma: Was bedeutet Männlichkeit eigentlich und was richtet der Anspruch an das Männlichsein mit Heranwachsenden an? Denn natürlich geraten beide in das Räderwerk gesellschaftlicher Normen und Rollenbilder. Léo bemüht sich tapfer, männliche Attribute zu erfüllen, aber fühlt er sich wirklich wohl dabei? Kann man von Authentizität sprechen, noch gerade im Alter von 13 Jahren?

Close richtet nicht darüber, sondern erzählt von ihrer Mechanik und ihren Konsequenzen. Weder ist Léo der alleinige Täter, noch Rémis das alleinige Opfer, auch wenn er den höchsten Preis bezahlt.

Man kann sich fragen, ob Close die Zuspitzung im dramatischen Ende überhaupt nötig hat. Was dick aufgetragen erscheinen mag, hat jedoch eine Funktion: Es steht für das Ende einer Freundschaft, die das Leben bedeutet. So oder so wäre der Riss geblieben, die tiefe, alles verändernde Zäsur, die Leben zumindest in gekannter Form beendet. Es zeigt, was eine Entfremdung wie diese aus Menschen und ihren Familien macht.

Für diese Kunstgriffe gewann Close 2022 beim Filmfest von Cannes den Großen Preis der Jury. Außerdem wurde die belgische Produktion 2023 für den Oscar für den besten ausländischen Film nominiert.

Zu hoffen bleibt, dass sowohl Regisseur als auch die beiden fantastischen jungen Darsteller eine glänzende Karriere vor sich haben. Von ihnen müssen wir unbedingt mehr sehen.

Close
Belgien 2022
Regie: Lukas Dhont
Mit: Eden Dambrine, Gustav De Waele, Emilie Dequenne, Léa Drucker, Marc Weiss, Igor Van DesselLänge:
105 Minuten
FSK: ab 12

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