Filmkritik Ekel

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Bei Ekel von Roman Polanski aus dem Jahr 1966 ist die gängige Genreeinteilung nicht leicht: Horror, Thriller oder doch Drama? Polanski wurde mit dem für damalige Verhältnisse drastischen Film mit gerade erst 31 Jahren über Nacht zum weltweit gefeierten Regie-Wunderkind – und seine weibliche Hauptrolle Catherine Deneuve zum Weltstar. Ekel selbst erlangte schnell Kultstatus und gilt bis heute als Meilenstein nicht nur des britischen Kinos.

Mit viel Symbolismus und Metaphorik wirft uns Polanski in Ekel sowohl in den beengten Raum einer schäbigen Londoner Wohnung wie auch in den gestörten Geist seiner Hauptrolle Christine. Wohnung und Geist sind dabei miteinander verbunden: Je stärker sich Christines Wahnsinn Bahn bricht, umso mehr verrottet die Wohnung. Risse und Brüche, Verfall und Zerstörung ziehen sich immer mehr durch die Wände und Decken, bis zur wohl berühmtesten Szene des Films, in dem Christine Armen und Händen ausweicht, die aus den Wänden im Flur nach ihr greifen. Die Londoner Straßen sind beschädigt und der Kaninchenbraten, den Catherine verwesen lässt, ist eine deutliche Metapher – Innenwelt ist gleich Außenwelt. Mitten in den grellbunten Sechzigern fordert uns Polanski mit einem Schwarzweiß-Film heraus, der wie gemacht ist für die Schattenspiele und harten Kontraste. 

Darin erweist sich Polanski als Meister sämtlicher Bildebenen: Nahbereich bis Hintergrund stecken voller Codes und Informationen, die Einblick in die geistige Verfassung Catherines geben. Wer Erklärungen für ihr Verhalten möchte, muss in den Bildern und Szenen danach suchen und eigene Schlüsse ziehen. Die suggestive und meisterhafte Kameraarbeit von Gilbert Taylor findet nicht nur erstaunliche und bedrohliche Blickwinkel, sondern auch zahlreiche Spiegelungen, die zu Polanskis Markenzeichen wurden, öffnen den Raum.

Die Belgierin Carole wohnt mit ihrer Schwester Hélène in einer Londoner Wohnung und arbeitet als Kosmetikerin. Obwohl offensichtlich ständig weltentrückt, hält ihr ihre Arbeitgeberin den Rücken frei und ihr Freund Colin bemüht sich ständig um sie. Doch Catherine hat einen krankhaften Ekel vor Männern und überhaupt einer Außenwelt, die bedrohlich auf sie wirken. Da kommt erschwerend hinzu, dass der Freund ihrer Schwester faktisch bei ihnen wohnt. Als das Paar für einige Tage in einen Kurzurlaub fährt, brechen in Catherines Wahn langsam alle Wälle. Mit tödlichen Konsequenzen.

Polanski bediente sich für damalige Verhältnisse drastischer Mittel, wie in der Szene, in denen Carole durch die Wand den Sex zwischen ihrer Schwester und deren Partner hört. Auch die Sequenzen, in denen Carole von Vergewaltigungs- und Missbrauchsphantasien geplagt wird, sind vor allem für die 60er-Jahre außergewöhnlich deutlich. Alle Drastik folgt dem Ziel, die Frage zu stellen: Was ist mit Carole passiert? Was war der Auslöser für ihren Wahn, der sie zuletzt sogar in zum Mord treibt?

Ganz klar: Männliche Übergriffigkeit ist ein deutliches Motiv im Film, wie auch sexuelle Penetration. Polanksi stellt sie auf verschiedenen Ebenen dar:

Michael, der Partner ihrer Schwester, ist für Carole ein Eindringling in die eigene Wohnung. Seine dominante Art ihr gegenüber zeigt deutlich, dass er sich nimmt, was er will. Doch Michael geht noch weiter und steckt jeden Morgen aufs Neue seine Zahnbürste in Caroles Zahnputzglas – eine unsensible und rüde Übergriffigkeit, zumal Carole jeden Tag aufs Neue seine Zahnbürste herausnimmt. Vor diesem Hintergrund bekommt der besagte Sex zwischen ihm und ihrer Schwester weitere Brisanz. 

Der Straßenarbeiter auf Caroles Arbeitsweg lüstert sie ungefragt auf offener Straße und belästigt sie verbal – dabei tut sich nichts weiter, als ihren Arbeitsweg zu gehen. Er nimmt sich einfach das Recht, sie offen zu einem sexuellen Ding zu machen und hat keine Konsequenzen zu fürchten.

Dann ist da Caroles Freund Colin: Obwohl er in einer eigenen Szene mit Freunden in einer Bar auch positive Züge bekommt, küsst und umarmt er sie im Auto trotz ihres unübersehbaren Widerwillens. Auch er nimmt sich, was er will, wenn auch in leicht abgeschwächten Motiven gegenüber Michael. 
Als Colin schließlich »aus Sorge« die verschlossene Tür zu Caroles Wohnung eintritt und gewaltsam in die Wohnung eindringt, wird er endgültig zum gewaltbereiten Mann. 

Die nächste Eskalationsstufe ist schließlich die Sequenz mit dem Vermieter. Hier sehen wir den ganz realen, ganz offenen Vergewaltigungsversuch.

In den Szenen, die ihre Wahnvorstellungen einer Vergewaltigung zeigen, lohnt sich der Blick auf die Männer: Sind sie Abbilder von Männern aus der Vergangenheit? Wenn ja, wer kann es gewesen sein? Der Film gibt darauf keine klare Antwort, wohl aber Hinweise. So lohnt sich das genaue Hinschauen auf das rätselhafte Familienfoto auf dem Sideboard, das einmal während einer langen Kamerafahrt ins Bild kommt – es kehrt unheilschwanger am Ende des Films zurück.

Wie anders ist da die Welt der Frauen im Film: Der große Kosmetiksalon, in dem Carole arbeitet, ist hell, sauber, geordnet und voller Menschen. Kolleginnen, Kundinnen und Chefin sind ihr wohlgesinnt und nehmen es ihr kaum übel, wenn sie sich in Träumen verirrt, zu spät kommt oder sogar Kunden während einer Behandlung versehentlich sticht. Hier scheint man daran gewöhnt zu sein, dass Frauen von Männern schlecht behandelt werden und darunter leiden. 

Doch trotz allem stimmt etwas mit dieser vordergründig so positiven Frauenwelt auch nicht: Sie ist tatsächlich zu vordergründig. So ist der Pausenraum dieses florierenden, immer voll ausgelasteten Betriebs eine schäbige, heruntergekommene Kammer – wehe also, wer hinter den schönen Schein blickt, der im Salon so ausgiebig gepflegt wird. 

Und trotz allen Verständnisses geht hier nichts wirklich in die Tiefe, wird auch Caroles Abgleiten in den Wahnsinn nicht erkannt oder übersehen.

Vor diesem Hintergrund kann man das Treiben im Salon als Satire auf Oberflächlichkeit und Gesellschaft sehen. 

Polanksi hatte mit seinem noch in Polen gedrehten Debüt Das Messer so viel Aufmerksamkeit erregt, dass bereits sein zweiter Film Ekel eine britische Produktion für den internationalen Markt wurde. Mit Kameramann Gilbert Taylor hatte er einen Meister seines Fachs an seiner Seite. Gilbert war zu der Zeit bereits ein geachteter Mann, der de Beatles-Film Yeah! Yeah! Yeah! sowie Stanley Kubricks Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben im Lebenslauf hatte. Er blieb Polanski eine Weile treu, bevor er auch von Alfred Hitchcock für Frenzy und von Georges Lucas für Star Wars engagiert wurde.

Ihre Zusammenarbeit hat sich gelohnt: Ekel ist ein Film für aufmerksames Beobachten. Polanski erzählt im Nahbereich ebenso wie im Mittelbereich und Hintergrund. Jedes Bild pulsiert und ist sorgsam komponiert. Jede Einstellung und Kamerafahrt in Ekel ist symbolgeladen und vielsagend.

Ekel wird man heute ganz sicher anders sehen als damals: Immerhin droht Polanski seit 1977 in den USA eine Gefängnisstrafe wegen Vergewaltigung unter Verwendung betäubender Mittel der damals 13-Jährigen Samantha Jane Gailey, später Geimer. Obwohl Geimer über Jahre immer wieder betonte, Polanski verziehen zu haben und dies auch von der Öffentlichkeit erbat, kann man Ekel mit seiner Aussage und seinen Mitteln heute nicht ohne dieses Verbrechen sehen. Denn die Frage muss sich stellen: Wie konnte Polanski zu dieser Tat in der Lage sein, nachdem er mit Ekel der männlichen Übergriffigkeit und sexuellen Gewalt einen ganzen Film gewidmet hat? 

Was unbestritten bleibt, sind der meisterhafte Einsatz aller narrativen Kniffe, die beeindruckende Inszenierung und die künstlerische Bedeutung in der Filmgeschichte.

Ekel – OT: Repulsion – GB 1965 – 105 Min. – FSK 16 – Regie: Roman Polanski – Mit: Catherine Deneuve, 

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