Filmkritik La Grande Bellezza – Die große Schönheit

Jep Gambardella hat die Schnauze voll, und wer soll es ihm auch verübeln bei seinem Umgang: eine dekadente, selbstverliebte Künstlerszene, die zombiehaft zwischen den großen Kulturstätten Roms herumgeistert, in gestylten Upperclass-Restaurants speist und sich stets bei wilden Parties, zweifelhaften Kunstveranstaltungen und Happenings trifft, um sich vornehm selbst zu feiern. Sie alle sind Illusionen eines geistreichen Lebens in hinreißender Kulisse – alle spielen sie Theater auf der wohl hinreißendsten Bühne der Welt. So jedenfalls suggerieren es die umwerfenden Bilder, die perfekten, dynamischen Kamerafahrten und einer der abwechslungsreichsten, besten Soundtracks der letzten Jahre. Schöner, ästhetischer und mitreißender hat wohl noch kein Film die Schönheit Roms eingefangen.

Dafür erhielt La Grande Bellezza – Die Große Schönheit 2014 den Oscar sowie den Golden Globe für den Besten fremdsprachigen Film, und das völlig zu Recht.

Rom ist hier Stellvertreter für die große Schönheit – und somit auch für die große Lebenslüge aller Personen: Jede Person lebt von der großen Vergangenheit wie Rom selbst. All die großen Kunstschätze aus römischer Antike und italienischer Renaissance zeugen lediglich von vergangenem Glanz, ohne selbst Glanz zu sein.

So auch Jep Gambardella, der gerade seinen 65-jährigen Geburtstag gefeiert hat: Vor Jahrzehnten mit seinem bislang einzigen Roman zum Star aufgestiegen, lebt er seither ein recht luxuriöses Leben als Kulturredakteur, ohne seiner Kunst und der Kunst im Allgemeinen noch etwas hinzuzufügen. Und genau das ist es: Niemand hier hat noch etwas zu sagen, etwas zu geben. Der zeitgenössische Kulturbetrieb zehrt wie ein Vampir an vergangener Glorie und ist selbst inhaltlich wie künstlerisch leer, ein ewiges Zitat.Die von sich und ihrem Leben gelangweilte Kulturoberschicht ist nahezu verzweifelt auf der Suche nach Impulsen – dafür müssen dann schon mal abseitige Kunstperformances oder kuriose Kunsthappenings herhalten.  Da rennt eine Künstlerin, die von sich stets in der dritten Person spricht, mit Schmackes gegen eine antike Wand, oder eine bockige Tochter wird gezwungen, dem kunstsinnigen Publikum im Garten ihr Talent als Malerin vorzuführen, anstatt mit den anderen Kindern spielen zu können: Wutenbrannt schleudert sie Farben und sich selbst gegen die Leinwand und tut nichts anderes, als wütend zu sein – goutiert wird das kuriose Geschehen indes als Kunst. 

Man kommt nicht umhin, diese Brut abwechselnd zu verabscheuen und zu bemitleiden, deren Leben wie eine einzige Wiederholung ist. 

Die großen Zeiten sind vorbei, doch um die große Leere tanzen sie auf schicken Parties an berauschenden Orten wie auf dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs. Das Einzige, was sie vorm Hineinstürzen schützt, ist ihre Gabe der Einbildung.

Besonders deutlich wird dies an Jeps Freundin Stefanie, die ihr Leben in höchsten Tönen rühmt, doch hart auf den Boden der Tatsachen gerissen wird, als sie Jep um seine ehrliche Meinung über sich und ihr Leben bittet. Es ist eine kultivierte, aber gnadenlose Demaskierung – die auch für alle anderen steht. Da sind die ehemaligen Adligen, die ihre großen Namen für ein paar Hundert Euro dafür verhökern, auf Empfängen Eindruck zu schinden – notfalls auch unter dem Namen anderer Adliger. Irgendwie müssen sie zurechtkommen und überleben in einer Welt, die sich um die untergegangene nicht schert.Da muss eine ehemalige Prinzessin, um ihre eigene Wiege zu sehen, ihr ehemaliges Haus als Gast besuchen, denn es ist mittlerweile ein öffentliches Museum. 

So dauert es einen Gutteil der 2,5 Filmstunden, bis es dem Partylöwen Jep klar wird, dass ihm die große Schönheit fehlt. Der Groschen fällt stückweise. Erst muss er eine Bekannte, mit der er gerade geschlafen hat, sitzenlassen, bevor diese ihm Portraits für ihren Instagram-Account zeigen kann, und seine große Jugendliebe muss sterben, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. 
So feinsinnig die Demaskierung der Künstlerszene auch ist, so gnadenlos ist sie: Im Grunde sind all diese Menschen Geister, Schatten, oberflächlich, egozentrisch – und endlos traurig, leer und ziellos. Wer möchte, findet dafür einen ganzen Katalog an Symbolen und Metaphern im Film. So ist es kein Zufall, dass fast überall antike Skulpturen herumstehen, prächtige Deckenfresken, Wandmalereien oder römische Bauten zu sehen sind. In nahezu jeder Einstellung wird klar: Größer könnte die Diskrepanz zwischen Schein und Sein nicht sein. Oder wie ist die absurde Szene zu verstehen, in der Dutzende Menschen zusammen darauf warten, wie am Fließband verjüngt zu werden?

Das riecht verdächtig nach Frederico Fellinis zeitlosem Klassiker La dolce vita – Das süße Leben, und in der Tat verneigt sich Die große Schönheit auch vor dem großen Vorbild, ohne Abklatsch zu sein. Denn Regisseur Paolo Sorretnino seziert mit feiner Ironie und kultivierter Abneigung die Kunstszene Roms. 

Regisseur Sorrentino ist mit La Grande Belazza – Die große Schönheit ein großes Stück intellektuelles Kino geglückt, das pointiert die Schmerzpunkte trifft und entblößt. Und sich nicht zuletzt vor der großen Schönheit, die Kultur und Liebe ermöglichen, verneigt. Ein Juwel, zweifellos.

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