Filmkritik Like A Complete Unkown

Filmkritik A Complete Unknown - https://der-filmgourmet.de

Künstlerbiografien sind oft eine sichere Bank, vor allem, wenn sie mit einem Superstar wie Timothée Chalamet besetzt sind. Regisseur James Mangold hatte also für seinen Film Like A Complete Unknown einen richtigen Riecher, denn Chalamet verwandelt sich geradezu beängstigend realistisch in die Musiklegende Bob Dylan.

Ein mutiger Film über ein kompromissloses Genie

Dabei ist der Film ausgesprochen mutig, denn er verklärt Dylan keine Sekunde. Vielmehr erleben wir knapp 2,5 Stunden einen kompromisslosen Charakter, der zwar ein Genie ist, für seinen Weg aber auf andere Menschen keine Rücksicht nimmt. Der Film kommentiert das glücklicherweise nicht, sondern stellt es dar. Es ergibt sich ein Raum für Deutungen: Dass ein Genie wie er menschliche Defizite hat oder dass ein Genie wie er seinen künstlerischen Weg für seine Kunst gehen muss, um sein Genie hervorzubringen. Es liegt an den Einzelnen, sich selbst für eine Seite zu entscheiden. Der große Box-Office-Hit blieb dem Film verwehrt, dafür heimste der Film wie erwartet zahlreiche Nominierungen ein. 

Mangold weiß, wie man das macht: Denn auch der Oscar-prämierte Walk the Line geht auf sein Konto. Sein Film Like A Complete Unknown folgt den Jahren des Anfangs bis zum historisch verbürgten Skandal beim Newport Folk Festival 1965. Viel Zeit für Erklärungen hat man dabei nicht. Der Film kann nicht verbergen, dass er auf dem Buch Dylan goes Electric! von Elijah Wald basiert. Als roter Faden der mehrere Jahre umspanennden Erzählung dient Dylans Eigenständigkeit oder, je nach Lesart, die Notwendigkeit seiner Eigenständigkeit, mit der Menschen, Weggefährten und Fans verprellt hat. Im Zeigen und Darstellen dieser Umstände ist Like A Complete Unknown hervorragend. 

Traumhafter Cast in authentischer Geschichte

Das liegt natürlich an dem traumhaften Cast. Was Chalamet liefert, ist überwältigend. Fünf Jahre bereitete er sich auf die Rolle vor, alle Lieder im Film sang und spielte er selbst. Mit seiner nun 2. Oscar-Nominierung ist er nach James Dean der erste Schauspieler, der mit unter 30 bereits für zwei Oscars nominiert wurde. Als Bob Dylan ist er fantastisch wie eh und je und ist allerspätestens jetzt das größte männliche Schauspieltalent seiner Generation.

Neben Chalamet brilliert auch Edward Norton in seiner besten Rolle seit Langem. Und natürlich ist Monica Barbaro als Joan Baez genau die Offenbarung, als die sie gefeiert wird. Oscar-nomininert sind alle drei, und das zu recht – nicht zuletzt, weil alle im Film selbst singen. Das zu sehen und zu hören, ist phänomenal.

Mangold ist ein genauer Beobachter jener Zeit. Die Kamera entführt uns tatsächlich in die 60er-Jahre und bleibt dabei stets entspannt, beobachtend und fokussiert. Mangolds Regie ist geradlinig, interessiert und geradezu dokumentarisch. Wie selten gelingt es Mangolds Film, so authentisch zu sein, dass die Zeit fast physisch erfahrbar wird. Vor allem die im Film gesungenen Auftritte sprühen vor Magie, sind meisterhaft eingefangen und sprechen für sich. Alle Stücke wurden von den Darstellerinnen und Darstellern selbst gesungen – mehr Authentizität geht nicht.

Kenner von Dylans Biographie oder der Folk-Musik erkennen zahlreiche reale Personen wieder. Neulingen bietet der Film hingegen einen trotz der Laufzeit kurzweiligen, magischen Blick in das Leben und Werden einer Folk- und Rocklegende.

Das Entlarven Dylans überlässt er dem Publikum, wenn auch und gerade die Frauenfiguren im Film Opfer seinen Charakters werden.

Episodenhafte Erzählung mit einigen Freiheiten

Mangolds Film ist eher episodenhaft angelegt, ihm fehlt eine übergreifende Geschichte wie beispielsweise. Da macht es Like A Comlplete Unknown einem nicht immer einfach. Ein wenig schade ist zudem, dass ausgerechnet den fantastischen Frauendarstellerinnen kaum mehr bleibt, als von Dylan enttäuschte und erschütterte Charaktere zu spielen. 

Barbaros Charakter Joan Baez – selbst eine Figur, die sich ideal für eine Filmbiografie eignet – kommt nur dann richtig zur Geltung, wenn sie singt.  Dann aber dreht der Film wunderbar auf. Alle Gesangsszenen sind magisch und meisterhaft gespielt, gesungen und inszeniert. Dass Beaz selbst etwas zu kurz kommt, mag der Tatsache geschuldet sein, dass hier Dylans Geschichte erzählt wird und nicht ihre. 

Auch Elle Fannings Rolle der Sylvie Russo bleibt blasser, als es ihr gebührt – obwohl sie im Film anders heißt als die reale Suze Rotolo, nahm sie großen Einfluss auf Dylans musikalische Entwicklung. Auch die Trennung nahm er schwerer, als im Film dargestellt.

Überhaupt nimmt sich der Film einige Freiheiten und erzählt Dinge anders, als sie geschahen. So war Edwards Nortons Charakter Pete Seeger nicht voller Rage über Dylans Elektrogitarrenauftritt beim Folk-Festival, wie im Film dargestellt. Er schrieb Dylan sogar, dass Verständnis für ihn hatte und er wütend über die schlechte Tonqualität von Dylans Auftritt war.

Auch sangen Dylan und Baez nicht, wie im Film dargestellt, beim Folk Festival 1965 It Ain’t Me, Babe live, sondern bereits 1964.

Der Mythos Bob Dylan

Es geht Mangold Mythos Dylans, aber auch um dessen Unerklärbarkeit – was Like A Complete Unknown zielsicher einfängt. Das stringente Drehbuch arbeitet Episoden ab und vermeidet glücklicherweise jede Deutung. Dass Like A Complete Unknown keine hauptsächliche, durchgängige Liebesgeschichte zum großen Thema hat, macht den Film etwas sperrig, aber authentisch. Vieles bleibt unerklärt, wie die Frage, warum Dylan der Charakter ist, der er ist. Die Entscheidung, nicht um den heißen Brei herumzureden und auf Erklärungsversuche zu verzichten, ist goldrichtig. Das ist mutig, da Filme mit unsympathischen Hauptfiguren wenig Identifikationpotenzial bieten und beim Publikum in der Regel schlechter ankommen.

Wunderkind Chalamet hat sich jahrelang auf diese Rolle vorbereitet, und das merkt man gerade in der Originalversion des Films. Nicht nur den Habitus, auch die Sprechweise und natürlich die Art zu Singen adaptiert er herausragend genau. 

Der Originaltitel des Films sowie der Titel für die internationale Auswertung lautet A Complete Unknown, der in Deutschland in Like A Complete Unknown geändert wurde. Hintergrund sei die bessere Erkennbarkeit des Titels mit der Textzeile des Dylan-Lieds Like a Rolling Stone.

Like A Complete Unknown
USA 2024
Regie: James Mangold
Mit: Timothée Chalamet, Edward Norton, Monica Barbaro, Elle Fanning
Länge: 143 Minuten
Verleih: Fox Searchlights
FSK: 6

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