Filmkritik Mars Express

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Science Fiction ist immer dann am besten, wenn sie sich mit der Welt auseinandersetzt und mögliche Szenarien entwirft, die über das jetzige Denken hinausweisen. Das ist gerade im Kino nur selten der Fall und ohnehin meist nischigen Filmen vorbehalten, die es nicht nötig haben, für ein möglichst großes Blockbuster-Publikum so unterhaltsam wie möglich zu sein. Der französische Animationsfilm Mars Express ist so ein Beispiel. 

Science Fiction in Reinkultur

Wie kaum ein anderer SF-Film vor ihm komprimiert Mars Express in knapp unter 90 Minuten eine enorme Fülle an Einfällen, Themen und Fragestellungen rund um Kybernetik, Technologie und Raumfahrt, Gesellschaft, Politik und Philosophie, dass einem schwindelig werden kann.

Vor dem Hintergrund einer Kriminalstory nimmt sich Mars Express nicht die Zeit, alles Gezeigte oder Angesprochene zu erklären, sondern versetzt uns bruchlos in eine Welt, in der der Mars besiedelt ist und Roboter sowie andere kybernetische Möglichkeiten an der Tagesordnung sind. Dabei geht es trotz der gezeigten Technologie um Realismus und nicht um originellen Effekt. 

Es ist erstaunlich, dass Regisseur Jérémie Périn solch ein komplexes, reichhaltiges Geflecht in seinem Spielfilmdebüt umsetzt. Sein gemeinsam mit Laurant Safarti geschriebenes Drehbuch konzentriert sich auf einen griffigen, geradlinigen Plot. Genrebedingt gibt es immer wieder neue Hinweise, Twists und Erkenntnisse, die am Ende schlüssig zusammengeführt werden.

Das macht Mars Express zu Science Fiction in Reinkultur und zu einem Fest für alle, die Science Fiction auch als Denkraum und Möglichkeits-Forum betrachten. Mars Express nimmt sein Sujet ernst und widmet sich ihm fokussiert und schweift nicht ab. So etwas ist selten geworden, was Mars Express noch wichtiger macht.

Das französische Ghost in the Shell?

Ja, das ist herausfordernd. Wer es gewohnt ist, nebenbei anderes zu tun, wird gnadenlos abgehängt. Kurz die Timeline checken, etwas nachschauen oder in die Küche gehen, während der Film läuft? Ganz miese Idee. Denn so herkömmlich der Storyaufbau manchen auch scheinen mag, so hochkomplex ist die gezeigte Gesellschaft. Das heißt: Wer wegschaut oder sich ablenken lässt, verliert. 

Von manchen wird Mars Express mit dem japanischen Anime-Klassiker Ghost in the Shell verglichen – eine große, verdiente Ehre, doch Mars Express ist tatsächlich in vielen Punkten besser als Ghost in the Shell, der sich weniger sozialen und politischen Themen auseinandersetzt.

Neben technologischen Details reißt Mars Express im Gegensatz zu Ghost in the Shell eine überwältigende Fülle gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und philosophischer Themen an. Das ist ein Füllhorn an Ideen, vor allem aber ein vielschichtiger, breiter Blick in eine Zukunft, die bereits jetzt begonnen hat. Ähnlich wie in Blade Runner sind wir uns dieser Zukunft näher als der von Ghost in the Shell, der gar nicht den Versuch macht, einen realistischen Blick in eine mögliche Zukunft zu werfen. 

Mars Express ist demzufolge nicht weniger als ein ultimatives Science-Fiction-Schwergewicht, das man konzentriert, offen und vor allem mehrmals schauen sollte, um alles mitzubekommen. Chapeau!

Animation made in Europe

So etwas in einem Realfilm umzusetzen, hätte ein Vermögen gekostet, und in der Lahmarschigkeit vieler zeitgenössischer Serien, die lediglich Episoden schinden wollen, wäre Mars Express kaum so treffsicher.

Der Animationsstil setzt sich klar von gängigen US-amerikanischen Produktionen ab, dafür kostete er auch nur ein Bruchteil. Seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes 2023 folgte in Deutschland und anderen Märkten ein begrenzter Kinostart – sogar in einer englischen Fassung in den USA. Der Lohn: Enorm hohe Wertungen weltweit und überschwängliche Kritiken. Die hat sich der Film auch redlich verdient.

Mars Express zeigt, wie grandios europäisches Kino auch in Genres wie Science Fiction sein kann. Fast wünscht man sich, etwas Vergleichbares als Realfilm zu sehen zu bekommen.

Superb!

Mars Express
Frankreich 2023
Regie: Jérémie Périn
Mit: Léa Ducker, Mathieu Amalric, Daniel Njo Lobé
Produktion: Capelight
Länge: 88 Minuten
FSK: 16

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