Filmkritik: Judy

Die Darstellung historischer Figuren ist ein roter Teppich für oscarreife Leistungen – und im Falle von Renée Zellweger als Judy Garland in Judy zu einer staunenswerten Leistung, wie man sie in dieser Güte nur alle paar Jahrzehnte zu sehen bekommt. Wer also sehen will, was große Schauspielkunst bedeutet, sehe Judy

Der Film selbst kommt da nicht ganz mit. Das liegt weniger an der Konzentration auf das letzte Lebensjahr des tragischen Stars, als an den Undeutlichkeiten in Person und Handlung, die die Gründe ihres Falls nicht genügend ausleuchten.
So wird ihr Tablettenmissbrauch zwar auch durch Rückblenden zu den Dreharbeiten des Klassikers Die Zauberer von Oz begründet – nicht aber gezeigt, dass sich dieser über die Jahre hinweg steigerte. Auch dass ihre dadurch begründeten Zustände ihre Filmkarriere ab 1950 mehr oder weniger beendeten, weil sie ein zu großes Risiko geworden ist, wird allenfalls erwähnt. Garlands finanzieller Bankrott, der zu ihren Konzerten in London führten, und dadurch ihre Zwanglsage bleiben mehr oder weniger im Dunkeln. Hier wäre mehr Laufzeit wünschenswert gewesen.

So ist der Film eher das Patchwork einer Zustandsbeschreibung, der durch Ensemble, Kamera und Ausstattung zusammengehalten wird – dies jedoch noch fesselnd genug, um bei der Stange zu bleiben. Auch ihre Ehe mit Mickey Deans wird so beiläufig abgehandelt, dass man staunt, wenn sie nach 20 Filmminuten bereits wieder vorbei ist. 

Es ist zudem schade, dass im Film ihr Zustand ausschließlich mit den Dreharbeiten zu Die Zauberer von Oz erklärt wird. Natürlich ist es ein Verdienst, den Star als menschliches Wrack und das Opfer eines gnadenlosen Entertainment-Systems zu zeigen, das sie war. Dass man im Anschluss des Films sich aber genötigt fühlt, sich über Garlands Leben und ihre Zeit in London selbst zu informieren, ist nicht im Sinne des Erfinders. Da reicht es auch nicht darauf hinzuweisen, dass Judy lose auf dem Theaterstück End of the rainbow basiert. 

Wesentlich eleganter als das Drehbuch ist da schon die ausgezeichnete Kameraarbeit sowie der Filmschnitt und die Ausstattung. In langen Passagen ohne Schnitt gelingt es dem Film, Garlands Präsenz auf der Bühne nicht nur sicht-, sondern auch erfahrbar zu machen. Die Kamera kreist um Zellweger in der Rolle ihres Lebens, die alle Songs übrigens selbst singt, und diese Momenten vermittln die Magie von Garland und ihren Auftritten hervorragend. Auch dass sich die Regie von Rupert Goold ganz in den Dienst von Zellwegers Darbietung stellt, ist ein Plus von Judy – ein weiteres: Judy lässt der echten Judy Garland trotz der recht schonungslosen Darstellung ihres Abstiegs und der Medikamentenabhängigkeit zu jeder Zeit ihre Würde. Der Film huldigt ihrem Talent sogar, indem er den tiefen Fall der Diva zeigt. Und obwohl deutlich wird, dass Garland ein Opfer eines rücksichtslosen Business wurde, in dem Entertainment mehr zählt als das Befinden des Einzelnen, macht der Film nicht den Fehler, sie lediglich als bemitleidenswertes Opfer darzustellen. So geben mehrere Personen im Film offen zu, dass auch Garland einen Anteil an ihrem Sturz hatte. Indem Garland Mitschuld zugeschrieben wird, bleibt sie trotz aller Widrigkeiten auch weiterhin in gewisser Hinsicht autonom, was wichtig ist. Judy ist durch diese Distanz von Sensation und Klatsch der Person Judy Garland ganz nah. Und hat, Zellwegers enormer Leistung sei Dank, dem Star ein Denkmal gesetzt. 

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