Filmkritik Lamb

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Lamb macht in allen Punkten alles richtig – auch darin, locker 90 Prozent des Publikums zu vergraulen. Das ist eine positive Sache, denn es zeigt, wie stilsicher und selbstbewusst der isländische Regisseur Valdimar Jóhannsson seine mystisch-mythische Fantasy-Geschichte erzählt. Die Wahl seiner Mittel sind jedenfalls perfekt eingesetzt, um den verbliebenen 10 Prozent einen so eigenartig wie einzigartigen Filmgenuss zu verschaffen.
Das sieht dann zum Beispiel so aus: In den ersten 20 Minuten wird kein Wort gesprochen. Stattdessen sehen wir dem Paar Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) bei ihrer wortlosen Arbeit auf ihrer Schaffarm tief im menschenleeren Nirgendwo von Island zu. Doch bereits hier liegt eine besondere Stimmung und Spannung in der Luft.

Denn die ersten Minuten des Films erleben wir, wie ein namenloses Etwas, das die Kamera nicht zeigt, von außen in den Schafstall eindringt. Somit ist von Szene eins bereits klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.

Was folgt, vollzieht sich wortwörtlich im stillen Nebel. Auch, wenn der Dialog in den Film eingezogen ist heißt das nicht, dass weiterhin viel in Lamb gesprochen wird. Die Chemie zwischen Maria und Ingvar erschließt sich nahezu komplett aus dem vertrauten Umgang, den sie miteinander pflegen. Es geht ihnen gut in dieser stillen Einöde, in der die meisten der Zuschauer keine 30 Minuten aushalten würden. 

Auch, als „es“ passiert, tauschen die beiden nur verblüffte Blicke aus. Ein Schaf hat offenbar ein besonderes Lamm geboren, das die beiden Menschen wie ein menschliches Baby zu sich ins Haus holen und behandeln. Lange Zeit bleibt im Unklaren, was passiert ist, bis es schließlich doch zu sehen ist: Das Lamm ist ein menschliches Baby mit Schafskopf, ein Zwitterwesen – nur wo kommt es her?

Erst, als Pétur (Björn Hlynur Haraldsson) aus zweifelhaften Gründen zu ihnen stößt, kommt etwas mehr Dynamik ins Spiel. S als Fremdkörper von außen ist denn auch derjenige, der zuerst die Frage stellt, was überhaupt vor sich geht.

Die Kamera erzählt in langen, ruhigen Einstellungen viel. Die Beziehung zwischen den Protanogisten, ihre Beziehung zum Kind, das Leben allgemein: Die Kamera lässt stets genug Zeit, sich in Ruhe in der Szene umzusehen, die Kleinigkeiten einzuprägen, am stillen Leben teilzuhaben. Allein die Panoramen in die schroffe, nebelverhangene Bergwelt Islands sprechen Bände, ohne genau zu vermitteln, was genau. Es besteht niemals Zweifel darüber, dass hier etwas vor sich geht, etwas Altes, Unbändiges. Das alles wird lediglich angedeutet und wie ein Saatkorn in die Köpfe der Zuschauer gesät – dort kann es keimen oder nicht. Es ist dieses Vage, Ungefähre, das Lamb so eindrucksoll macht. 

Ja, man muss sich auf Lamb einlassen, und besagte Saat muss im Kopf aufgehen – ansonsten bleibt dieser Film verschlossen. Wer Zugang findet, erhält zahlreiche Anklänge, wer keinen findet, wird den Film nicht ertragen können. Genau das ist das Großartige an Lamb: Er biedert sich keine Sekunde an und erzählt mit größtem Formwillen, hervorragenden Darstellern, sensationeller Kamera und raffiniertem Sounddesign ein Märchen um Naturmythen und Religion, die begeistern und überzeugen kann.

Muss man das mögen? Natürlich nicht! Kann man das mögen? Auf jeden Fall! 

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