Filmkritik: Memento

Man muss schon Christopher Nolan mit seinem Bruder Jonathan Nolan sein, um auf die verrückte Idee zu kommen, einen Film wie Memento rückwärts zu erzählen – und man muss schon Christopher Nolan sein, damit dieser kühne Plan auch bestens funktioniert und blendend unterhält. Mit Memento lieferte Nolan im Jahr 2000 eines der ausgefeiltesten, intelligentesten und lohndendsten Meisterwerke des Neo-Noir ab, das bis heute in weiten Teilen unerreicht ist.

Der gebürtige Brite, der seit seiner legendären Batman-Trilogie zu den ganz großen Hollywoods zählt, legte gleich mit seinem ersten Film in Hollywood die Latte unermesslich hoch. Für gerade einmal 4,5 Millionen Dollar gedreht, eroberte Memento nicht nur das Sundance Film Festival im Sturm, sondern auch die Kritiker. Mit der Independent-Produktion erhielt Nolan auch gleich eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch – da war Nolan erst 30 Jahre alt.

Memento stellt in der Tat das Storytelling auf den Kopf und verlangt vom Zuschauer fast 2 Stunden höchste Konzentration. Wer also gewohnt ist, nebenbei auf dem Smartphone allerlei Dinge zu erledigen, zu putzen oder „was am PC zu machen“ oder mit Freunden zu plaudern, sei gewarnt: Lasst entweder die Finger von all dem Kram oder lasst die Finger von Memento

Die Konzentration wird reich belohnt, denn wenn sich der Film letztlich zusammensetzt und man die ganze Tragweite dessen erfasst, was man gesehen hat, bleibt man mit offenem Mund sprachlos erst einmal sitzen und will am liebsten den Film noch einmal sehen, um die neu gewonnenen Erkenntnisse zu verifizieren. Dass sich trotz aller Konzentration nicht automatisch alles sofort erschließen mag, ist durchaus beabsichtigt. Der Film löst die Fragen zwar auf, doch Memento macht sich dabei den Spaß, die Auflösung trotz allem mit einem Grad an Ungewissheit zu versehen, die das erneute Ansehen regelrecht zur Pflicht macht. Denn wenn es neben Rache in Memento um eines geht, dann um die Unvollkommenheit und Unzuverlässigkeit menschlicher Erinnerung und des menschlichen Geistes – des Zuschauers eingeschlossen!

Zwar bieten diverse Heimkino-Veröffentlichungen mal mehr, mal weniger versteckt die Option an, sich Memento auch chronologisch anzusehen, um den Film besser zu verstehen, allerdings ist diese Version wenn überhaupt nur als Ergänzung zum bereits gesehenen Film zu empfehlen. Denn die chronologische Darbietung nimmt der Geschichte das Elementare.

Hauptperson Leonard ist ebenso verunsichert wie der Zuschauer, und ohne dieses Element verliert der Film seine durchschlagende Kraft.

So verständlich die Begeisterung für Christopher Nolan auch ist, so darf nicht der Anteil seines Bruders Jonathan Nolan vergessen werden, der zu seinem Erfolg beiträgt. So basiert Memento auf der damals noch unveröffentlichten Kurzgeschichte Memento Mori von Jonathan, der zudem an den meisten Drehbüchern von Christopher Nolans Filmen mitwirkt und als Mastermind hinter der HBO-Serie Westworld fungiert.
Jonathan Nolan beschreibt sich selbst als Schreiber, der es hasst zu schreiben, aber liebt, geschrieben zu haben. Und so lieferte er auch die Idee und Vorlage zum Film Memento. Wer die Story lesen möchte, auf der der Film basiert, kann dies hier auf Englisch tun.

Zu Recht wurde Memento ein erstaunlicher Erfolg: Zuerst limitiert in nur einer begrenzten Anzahl Kinos gestartet, mauserte sich der Film durch hervorragende Mundpropaganda und Kritiken mit 26 Millionen Dollar allein in den USA zu einem Achtungserfolg und machten Christopher Nolan schlagartig zu einer festen Größe. Der Rest ist Geschichte, die erfreulicherweise noch immer weitergeschrieben wird.

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