Filmkritik Oppenheimer

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Die Filme des Christopher Nolan sind sowohl zu Recht Klassiker des modernen Kinos als auch Deckmäntelchen. Dem Briten Nolan ist das einzigartige Kunststück gelungen, sowohl bei anspruchsvollen Filmkennern hoch im Kurs zu stehen, als auch bei dem Blockbuster-Publikum, das sich von seinen Filmen angesprochen fühlt, weil es in intellektuellen Fahrwassern fischen kann. Und es gibt eine dritte Zielgruppe: Diejenigen, die sich damit schmücken, seine Filme zu sehen, zu mögen und auch (vielleicht) zu verstehen.

Ein zu recht gefeierter Kinoerzähler

Das hat Nolan clever gemacht, aber ein wenig Glück war schon dabei: Hätte er nie den Zuschlag bekommen, für DC Batman neu aufzulegen, hätten sich viele Filmfans gar nicht erst mit seinen Filmen auseinandergesetzt. So ehrlich muss man sein, und man tut Nolan damit auch nicht Unrecht, denn es stimmt ja: Einen Kinoerzähler wie Nolan gibt es selten – feiern wir ihn also zu recht.

All das erklärt auch, dass ausgerechnet Oppenheimer, ein dreistündiges Biopic des „Erfinders“ der Atombombe zu einem massiven Erfolg werden konnte, das fast 1 Milliarde Dollar allein im Kino umsetzte. Nolan ist Pflicht für viele, und das ist auch gut so fürs Kino allgemein, für Nolan und seinen wirklich glänzenden Oppenheimer im Speziellen.

Zeit, Zeitebenen, Zeitachsen

Oppenheimer nur als dreistündiges Biopic zu beschreiben, ist so korrekt wie falsch. Denn natürlich liefert Nolan neben der Biographie etwas Besonderes ab: Eine erneute Auseinandersetzung mit seinem Lieblingsthema Zeit. Der Film wechselt nicht nur die Zeitebenen, sondern auch die Bedeutungsebenen. Was in der einen Zeit auf gewisse Weise erscheint, tut es in einer anderen Zeit ganz anders.

In Oppenheimer lässt Nolan uns bis zum Schluss zappeln, um uns die Szene zu zeigen, die sich so fatal auf Lewis Strauss (Robert Downey jr.) und damit auch für Oppenheimer auswirkt. Das ist kein so legendärer Knalleffekt wie die Schlussszene von Inception, sondern ein stiller Dreh äußerster Bitterkeit. Und machen wir uns nichts vor: Die Schlussszene von Inception wurde nur deshalb so groß, weil sie von Millionen Nerds als harte Nuss angesehen und im Internet diskutiert wurde.

Davon ist die Schlussszene in Oppenheimer zwar meilenweit entfernt, aber auch sie lässt den gerade zu Ende gelangten Film in anderem Licht erscheinen. Was bedeutet: Ja, ein erneutes Ansehen drängt sich auf, allein um zu sehen, wie Nolan es mal wieder hinbekommen hat, einen Kniff um die Frage einzubauen, was Wirklichkeit, Wahrheit und Wahrnehmung eigentlich ist. 

Drei Stunden makelloses Erzählen

Die drei Stunden davor liefert Nolan ab. Oppenheimer ist in jeder Hinsicht makelloses Erzählen. 

Wer in einen Nolan-Film geht, erwartet den besonderen Kniff. Bislang ist ihm das immer perfekt gelungen. Man vergesse nicht, dass er als junger Mann mit Memento einen Thriller auf die Menschheit losließ, der seine Handlung allen Ernstes rückwärts erzählte.

Auch Oppenheimer ist wie eine Matroshka-Puppe. Und wie zu erwarten, geht Nolan in Oppenheimer wieder anders an das Prinzip des verschachtelten Erzählens. Auch wenn sich sein Hang dazu durch jeden seiner Filme zieht, hat der Mann sich noch nie wiederholt. 

Oppenheimer ist zwar ein anderes Genre für Nolan – aber anstatt sich auf das Genre einzuschießen, faltet er das Genre auf seine Art zu erzählen zusammen. Das ist, man mag die Begeisterung verzeihen, einfach genial, zeigt von Selbstvertrauen in die eigene Vision und die Fähigkeit, sie umzusetzen.  

Ja, auf Science-Fiction-Elemente müssen wir verzichten. Wenn wir ehrlich sind, hatte er die mit Tenet ohnehin auch etwas überreizt. Dafür entstaubt er mit Oppenheimer das Biopic von ihrem Staub und macht etwas Besonderes daraus.

Kamera, IMAX und analog

Den Hut ziehen muss man vor so vielen: Nolan natürlich als Drehbuchautor, Regisseur und allgemein als Mastermind – aber reden wir einmal über die Kamera! Dass Nolan analog dreht, in 65 mm und in IMAX, ist schon zu einem seiner vielen Markenzeichen geworden. Der Lohn ist ein besonderer Look seiner Filme. Wir sehen Licht und Farben, die man sonst so im Kino und später auch im Heimkino einfach nicht zu sehen bekommt. Wer Nolans Großwerke nicht im Kino sieht und stattdessen auf den heimischen Fernseher schwört, beraubt sich einer Sinnlichkeit, auf die Nolan Wert legt wie niemand sonst. Mit anderen Worten: Ja, reinen Couch-Potatoes entgeht zwangsläufig etwas, und wenn sie das Gegenteil behaupten, wissen sie nicht, wovon sie reden.

Sein Stamm-Kameramann Hoyte Van Hoytema ist dabei einer, der sein Handwerk versteht und seinen Oscar für Oppenheimer wirklich verdient hat. 

Zu Van Hoytemas Arbeiten gehören neben seinen Nolan-Filmen Interstellar, Dunkirk, Tenet auch großartige Werke wie Her, James Bond 007: Spectre sowie Ad Astra und Nope: Alles Filme mit überwältigender visueller Wucht und einer eigenen Handschrift. Er durfte nun auch als Erster Kameramann IMAX-Schwarzweiß-Analogfilm verwenden, der auf Nolans Bestreben hin von Kodak extra für Oppenheimer entwickelt wurde.

Van Hoytema liefert in jeder Einstellung prachtvolle Bilder, selbst Innenaufnahmen, ob Saal, Wohnung oder Besprechungsraum, wirken in jeder Sekunde überwältigend. Hoytema und Nolan haben sich gefunden, wie es aussieht. Für uns ist das natürlich ein Segen.

Musik als Stilmittel mit Bedeutung

Nolan vergrault gern sein Kinopublikum, weil vielen seine Filme viel zu laut im Kino laufen. Kleiner Hinweis: Es ist Nolans Wunsch, dass einem die Ohren wegfliegen, nicht die des Kinopersonals. Erstaunlich ist dabei zudem, dass er in den ohrenbetäubend lauten Szenen vor allem dem Soundtrack den Vortritt lässt. Bei Interstellar dröhnten Hans Zimmers Orgelklänge in die Kinosäle, bei Oppenheimer ist es die brachiale Klangkulisse des Isländers Ludwig Göransson, der die Sitze beben ließ.

Nolan weiß von der suggestiven psychologischen Qualität von Musik und setzt diese entsprechend ein. Göransson schuf einen eindringlichen Score mit einprägsamem Hauptthema, das sich wie bei Inception und Interstellar ins Gedächtnis brennt. Göransson, der seit Tenet mit Nolan zusammenarbeitet, gewann wie Nolan und Van Hoytema verdient einen Oscar für seine Arbeit an Oppenheimer.

Zentral bei Nolan-Filmen ist der Schnitt, der nahtlos an die Wirkung der Filmmusik andockt. Was wir hier sehen, ist teilweise schlicht atemberaubend. Wie eine Verhörszene in einem kleinen Raum voller Menschen so mitreißend und untermalt von dröhnender Musik derart schweißtreibend montiert werden kann, ist eine Klasse für sich. Buchstäblich auf engstem Raum explodiert hier während eines Gesprächs förmlich eine Bombe. Das ist überlebensgroßes Kino und nicht weniger als große Kunst. Dass Jennifer Lame für den Filmschnitt ebenfalls mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, überrascht daher nicht. 

Zusammenarbeit mit Cillian Murphy

Mit Cillian Murphy hat Nolan seinen idealen Oppenheimer gefunden. Beide haben bereits in Batman Begins, Inception, The Dark Knight Rises und Dunkirk miteinander gearbeitet. Doch erst die erste Hauptolle in einem Nolan-Film brachte ihm auch den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller. Der Charakterkopf Murphy, der auch durch seine Hauptrolle in der TV-Serie Peaky Blinders einem großen Publikum bekannt ist, spielt Oppenheimer mit majestätischer Sicherheit und scheint eine Idealbesetzung zu sein. Sein Oppenheimer wird in Erinnerung bleiben wie auch das ikonische Filmposter, das untrennbar mit seinem Gesicht verbunden bleiben wird. Ist er damit im Olymp angekommen? Rein leistungsmäßig auf jeden Fall. Es ist nicht vorstellbar, dass sich der Ire nun wahllos in jedes Projekt stürzen wird, das ihm angeboten wird. 

Universal hat Grund zur Freude

Oppenheimer war Nolans erster Film für sein neues Studio Universal, das seitdem allen Grund zur Freude hat. Nolan hatte seine langjährige Zusammenarbeit mit Warner Bros in Wut darüber beendet, dass Warner während Corona sämtliche Filme eines Jahrgangs ausschließlich oder gleichzeitig zum Kinostart auf dem eigenen Streamingkanal HBO Max anbot. Für Nolan ein Affront, den er nicht verzeihen wollte. Warner hat damit nicht nur seinen erfolgreichsten und beliebtesten Regisseur verloren, sondern in Folge auch Prestige und Einnahmen. 

Für Universal wurde nicht nur Oppenheimer allein zum Segen: Der gleichzeitig gestartete Barbie ließ Oppenheimer zwar bei den Einspielergebnissen hinter sich – zusammen aber gingen die beiden Filme als „Barbenheimer“ in die Filmgeschichte ein. Fans beschlossen damit, beide Filme an einem Wochenende zu sehen, idealerweise sogar an einem Tag hintereinander. Gesteuert oder initiiert war diese Kampagne übrigens nicht von einem der Studios, sondern entstand völlig unabhängig vor allem in Social Media. Damit schaukelten sich beide Filme auch bei den Einnahmen hoch.

Gewinne und Verluste

Oppenheimer schlug mit fast einer Milliarde Umsatz an den Kinokassen ein wie eine – Entschuldigung – Bombe. Und dennoch ließ der gleichzeitig gestartete Barbie Nolans Film um fast eine halbe Milliarde hinter sich. 

Dafür überrundete Oppenheimer bei den Auszeichnungen Barbie um Längen. Unter anderem waren 7 Oscars der Lohn – für Film, Regie, Hauptdarsteller, Nebendarsteller, Kamera, Schnitt sowie Musik. Verdient für großes Kino wie dieses.

Oppenheimer
UDA 2023
Regie: Christopher Nolan
Mit: Cillian Murphy, Robert Downey, jr., Emily Blunt, Florence Pough, Matt Damon
Studio: Universal
Länge: 180 Minuten
https://youtu.be/kKpFmwxcl7U?feature=shared

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