Filmkritik Pieces Of A Woman

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Schon nach seiner Premiere auf dem 77. Filmfestival Venedig im September 2020 war klar, dass Pieces Of A Woman der »kommende Film des Jahres« werden würde. So dürfte es nun auch gekommen sein – was Hauptdarstellerin Vanessa Kirby in diesem Film leistet, darf getrost als beeindruckendste Leistung einer Schauspielerin seit Jahren gelten. Dafür wurde sie bereits in Venedig zu Recht ausgezeichnet. Ihre Rolle der Martha, die an den Folgen ihrer dramatischen Fehlgeburt zerbricht, ist für Vanessa Kirby die buchstäbliche Rolle ihres Lebens. 

Für Furore sorgen indes die wohl intensivsten und spektakulärsten 23 Minuten Kino seit Langem: Wir erleben 23 Minuten lang ohne Schnitt mit, wie Martha starke Wehen bekommt, sich vor Geburtsschmerzen windet, von Mann und Hebamme betreut wird, bis sie entbindet – und am Schluss ein totes Baby in den Armen hält. 23 Minuten lang kreist die intime, agile Kamera ganz nah an um die Gesichter, fängt hautnah jede Reaktion ein, wir erleben eine Frau auf dem Wohnzimmerboden, in der Wanne und auf dem Bett. Wir leiden mit, wir bangen mit, sind erleichtert, als das Kind nach Komplikationen doch endlich da ist und kurz danach zutiefst geschockt, weil es letztlich doch in den Marthas Armen stirbt. Authentischer, mitreißender kann man Kino nicht machen. Allein diese Sequenz ist es wert, gesehen zu werden. 

Und das ist erst der Anfang dieses insgesamt 126 Minuten langen Films. Wir erleben die Erosion ihrer Beziehung zum Vater des Kindes, Sean (Shia LeBeouf). Denn die Trauerarbeit der beiden unterscheidet sich voneinander. Und so hat neben Kirby auch Ex-Transformers-Star Shia LeBeouf erneut genug Gelegenheit, um sein Talent zu beweisen. Mit Vollbart und Schlappen anfangs kaum zu erkennen, gibt er seinem rauen Charakter die nötige Sensibilität. 

Ohnehin ist es das Umfeld, das Martha zusetzt, allen voran ihre Mutter Elisabeth, gespielt von der inzwischen 88-jährigen Ellen Burstyn, die hier zahlreiche starke Auftritte hat.

Pieces Of A Woman beschreibt Marthas Kampf um das Recht, den Tod ihres Babies zu verarbeiten. Wir sehen, wie sie unter dem Druck von außen leidet. 

Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó, der mit Pieces Of A Woman seinen ersten englischsprachigen Film inszeniert hat, setzt ein äußerst differenziertes Drehbuch um. Autorin Kata Wéber gibt jeder Hauptperson Geschichte, Hintergrund und Motivation. Während die Kamera genau auf die Personen schaut, schaut das Script genau in sie hinein. Da ist es zu verschmerzen, dass die Story sich in den letzten 15 Minuten aus der geschlossenen Intimität löst und mit Vater Zufall ein Ende herbeiführt, das zwar erlösend und befriedigend ist, aber auch ein wenig aufgepfropft wirkt. 

Mundruczó und Wéber sind nicht nur ein Paar, sondern auch ein eingespieltes Team, das zuvor schon erfolgreich an ungarischen Film Jupiter Moon zusammengearbeitet hat. Pieces Of A Woman könnte für beide das Sprungbrett zu einer internationalen Karriere sein, was man ihnen und den Zuschauern wünschen muss: Da Kino braucht solche Talente, die mit beeindruckenden Meisterwerken wie Pieces Of A Woman beeindruckende Geschichten erzählen. 

Maßgeblichen Anteil daran hat der norwegische Kameramann Benjamin Loeb, der dafür sagenhafte, vielschichtige Bilder bietet. Meist sehen wir Personen in geschlossenen Räumen, Wohnungen. Loeb schafft es, in diesen beengten Verhältnissen vielsagende Panoramen zu schaffen, geometrisch auf der einen, losgelöst auf der anderen Seite. Diese Bilder sind es wert, auf der großen Leinwand gesehen zu werden – wo der Film jedoch pandemiebedingt nicht laufen kann. Stattdessen hat der Streaminganbieter Netflix mit dem Einkauf des fertig produzierten Films einen neuen, echten Coup gelandet. Das hat auch gute Seiten: Mit Netflix erreicht Pieces Of A Woman als erzählerisches Meisterwerk mit einer so denk- wie Oscar-würdigen Darbietung der weiblichen Hauptdarstellerin Vanessa Kirby ein weit größeres Publikum, als es im Kino je möglich gewesen wäre. Und das hat dieses große, bedeutende Werk auch verdient.

Pieces Of A Woman – USA 2020 – 126 Minuten – Regie: Kornél Mundruczó – Mit: Vanessa Kirby, Shia LeBeouf, Ellen Burstyn

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