Filmkritik Schatten der Vergangenheit

Filmkritik Schatten der Vergangenheit - der-filmgourmet

Gut möglich, dass Hitchcock seinen Hut vor Schatten der Vergangenheit von Kenneth Branagh gezogen hätte. Branaghs furioser Thriller von 1991 ist in bester Hitchcock-Tradition raffiniert auf zwei verschachtelten Zeitebenen erzählt, rasant gedreht, brillant besetzt und erstaunlich unvorhersehbar. Trotz zahlreicher Reminiszenzen an den klassischen Detektivfilm der 40er-Jahre ist Schatten der Vergangenheit wohl einmalig. Das originelle Drehbuch von Scott Frank ist dermaßen überbordend, dass es für mehrere Filme gereicht hätte: Storyrückblenden in Schwarz-Weiß, eine mysteriöse Fremde, ein Privatdetektiv, ein zwielichtiger Hypnotiseur, ein trinkender Journalist, ein schockierender Mord in der Vergangenheit und gleich mehrere Geheimnisse, wie und warum alles irgendwie zusammenhängt: Das alles ist Schatten der Vergangenheit.

Der Brite Branagh lieferte damit seinen ersten Film in Hollywood ab, nachdem er mit seiner Shakespeare-Verfilmung Henry V. 1989 sein oscar-nominiertes Filmdebüt gegeben hatte.

Branagh, seinerzeit einer der gefragtesten Theaterschauspieler Großbritanniens, gelang mit Schatten der Vergangenheit ein Film von großer Eleganz voller Suspense und Twists. Darin findet Branagh die richtige Balance zwischen Atemlosigkeit und ruhig vor sich hinglimmendem Mysterium, um das Publikum zuverlässig bei der Stange zu halten und am Rätselraten zu beteiligen.

Schon in den Starttiteln setzt der Film auf Tempo. Zu Arthur Doyles dramatischem Orchestersoundtrack rasen Zeitschriftenüberschriften an uns vorbei: Mord! Eifersucht! Drama! Wir wissen bereits vor der ersten Szene viel: 1949 ermordete der bekannte Komponist Roman Strauss (Kenneth Branagh) seine Frau Barbara (Emma Thompson) mit einer Schere und wurde zum Tod verurteilt. Und so spielt die erste Filmszene in der Todeszelle, in der Roman dem Journalisten Gray Baker (Andy Garcia) verkündet, dass es mit dem Tod längst noch nicht vorbei sei. Das nennt man eine Ansage. 

Der Zeitsprung in die Gegenwart (das Film-Entstehungsjahr 1991) macht uns mit dem eigentlichen Personal und der Hauptstory bekannt: Der Privatdetektiv Mike Church (Branagh) wird mit dem Fall der mysteriösen Grace betraut, die aus unbekanntem Grund ihre Identität sowie ihre Stimme verloren hat. Der einzige Hinweis: Immer wieder wacht sie aus Albträumen auf und fasst sich an den Hals. Seine Nachforschungen zu ihrer Person und dem, was ihr zugestoßen ist, bringen ihn mit dem zwielichtigen Antiquitätenhändler und Hypnotiseur Franklyn Madson (Derek Jacobi) zusammen, der in einer Hypnose nicht nur ihre Erinnerung, sondern auch ihre Stimme wieder erweckt. So stoßen sie auf die dramatische Mordgeschichte von Roman und Barbara Stauss.  Geschichte des Komponisten Roman Strauss (Branagh), der in den 40er-Jahren seine Frau Margaret (Emma Thompson) ermordet haben soll. Je mehr Church herausfindet, umso mehr wird er auch persönlich in die rätselhafte Vergangenheit hineingezogen.

Dabei kann sich Branagh auch auf eine exzellente Besetzung verlassen: Die spätere Oscar-Preisträgerin Emma Thompson beeindruckt in ihrer Doppelrolle ebenso wie Derek Jacobi und nicht zuletzt dem wandelbaren Branagh selbst, der sich in in seinen ersten Filmen stets als Hauptrolle selbst besetzte, ohne dabei einen Fehler zu begehen. Und dann ist da neben dem überzeugenden Andy Garcia auch noch Hanna Schygulla, die mit ihrem Hintergrund als Fassbinder-Muse dem Film Arthaus-Ambiente verleiht. Mit dem kurzen Auftritt von Robin Williams, der hier eine ungewöhnlich ernste Rolle übernimmt, gelang sogar fast so etwas wie ein Besetzungs-Coup.

Sein Hauskomponist Patrick Doyle errang mit seinem tönenden Soundtrack eine Oscar-Nominierung.

Für Branagh und Thompson markierte der Film, auch wenn ihm der ganz große Erfolg im mit Thrillern voll gepackten Jahr 1991 nicht vergönnt war, der endgültige Aufstieg. Die Eheleute drehten gemeinsam noch die Shakespeare-Komödie Viel Lärm um nichts sowie den britischen Film Peter‘s Friends. Die Ehe endete wie auch Branaghs Karriere-Höhenflug mit dem Scheitern des großbudgetierten Mary Shelley‘s Frankenstein, in dem Robert de Niro die Rolle des Monsters übernahm. Da hatte Thompson bereits ihren ersten von zwei Oscars gewonnen und machte die größere Hollywood-Karriere von beiden. Branagh verlegte sich nach seinem vierstündigen Film Hamlet wieder auf kleinere Filme und konzentrierte sich erfolgreich auf seine Schauspielkarriere. Als selbstverliebter Hogwards-Lehrer machte er einen Abstecher ins Harry-Potter-Universum, spielte in der Filmgurke Wild, Wild West den Gegenspieler von Will Smith und war jahrelang als Wallander in der gleichnamigen TV-Serie zu sehen. Erst Marvel brachte ihn mit Thor wieder erfolgreich in den Regiestuhl zurück, wo er auch mit großem Budget, Aufwand und Staraufgebot Mord im Orient-Express inszeniert hat – natürlich mit sich selbst in der Hauptrolle. Mit Disneys Cinderella fuhr er einen weiteren Riesenerfolg als Regisseur ein. Und da ist er also wieder: Der geniale Theatermann mit dem sicheren Gespür für Drama und Spannung, für dessen Filme erneut die erste Riege der internationale Stars Schlange steht – und der auch als Schauspieler wieder oben mitmischt, wie seine Rollen in Christoper Nolans Dunkirk und als Schurke in Nolans SF-Film Tenet beweisen.

Für Drehbuchautor Scott Frank bedeutete Schatten der Vergangenheit einen weiteren Schritt zu langen Hollywoodkarriere mit Dutzenden Auszeichnungen und Nominierungen. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen Out Of Sight und Logan sowie die Adaption von Get Shorty und Minority Report.

Schatten der Vergangenheit von Kenneth Branagh ist einer jener Filme, die bei seinem Erscheinen zu Unrecht unter dem Radar flogen und erst im Nachhinein den Status als sehenswerte Filmperle errang, der ihm zusteht. 

Schatten der Vergangenheit – OT: Dead Again – USA 1991 – 103 Minuten – FSK: 16 – Regie: Kenneth Branagh – Mit: Kenneth Branagh, Emma Thompson, Derek Jacobi, Hannah Schygulla

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