Filmkritik Nomadland

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Mit typischen Oscar-Dramen hat der phänomenale Nomadland der Regisseurin Chloé Zhao  gottlob wenig gemeinsam. Typische Oscar-Dramen zeigen uns nämlich allzu gern, wie ein Mensch wahlweise gegen Schicksalsschläge, Beeinträchtigung, die Gesellschaft, soziale Zwänge, Krankheit, Verlust oder sich selbst kämpft. Nicht umsonst zieht die derbe Komödie Tropic Thunder diese Tatsache garstig wie treffend durch den Kakao. 

Umso befreiender ist es daher, dass mit Nomadland endlich einmal ein Film Oscars für den besten Film, beste Regie sowie die beste Darstellung gewann, der meisterhaft auf solche Zutaten verzichtet und uns die Geschichte einer Heldin erzählt, der es ganz einfach um ihre Art zu leben in Freiheit und Selbstbestimmung geht.

Mit dieser einzigartigen Geschichte hat Nomadland seit der bejubelten Premiere bei den internationalen Filmfestspielen von Venedig über 200 Preise gewonnen. Es sind über 200 Gründe, genau zuzusehen.

Die Hauptfigur Fern (Frances McDormand, die nunmehr ihren dritten Oscar gewann) steht dabei stellvertretend für eine ganze Reihe von oftmals selbsterklärten Nomaden, die im Verzicht Befreiung erfahren und in einem Leben Erfüllung finden, das durch materielle Beschränkung definiert wird. 

Nomadland ist damit eben nicht das sozialkritische Rührstück, das uns entweder den bösen Raubtierkapitalismus als Bestie zeigt oder soziale Kälte der Neuzeit anprangert – Nomadland verschont uns vor jeder Art von Klischee, das man gerne in diesem Film sehen möchte und prangert überhaupt nichts an. Nomadland feiert das Leben auf eine Weise, die lange nachwirkt.

Statt mit dem Holzhammer erzählt der Film eine wunderbar einfache Geschichte über Befreiung und freien Willen nach dem hervorragenden Drehbuch der Regisseurin selbst gemeinsam mit Jessica Bruder, die die Buchvorlage schrieb.

Nomadland dreht das übliche Hollywood-Einerlei einfach um und erklärt einen Charakter aus sich selbst heraus und nicht aus widrigen Umständen.

Kameramann Joshua James Richards findet dafür elegische, traumhaft schöne Bilder, die sich in ruhigen Einstellungen voll entfalten. Dabei setzt er ganz auf die überwältigende Schönheit von Landschaften und Orten und überträgt damit das Lebensgefühl der Nomaden wie Fern auf die Leinwand. Man ahnt es schon: Nomadland wirkt am besten auf der Leinwand oder wenigstens einem großen Fernseher, gerade weil er so ruhig und schön eingefangen ist.

In keiner Szene entgleitet der Film ins Beliebige oder setzt scharfe Kontraste zur Arbeitswelt, in der sich Fern wie die anderen Nomaden mit Aushilfsjobs über Wasser hält. Der Film hat es gar nicht nötig, Systeme und Gegebenheiten anzuklagen, denn genau darum geht es den Macherinnen ja gar nicht. So besetzte Zhao die meisten Nomaden mit wirklichen Nomaden, die sich im Film mit eigenem Namen einfach selbst spielen – Nomadland ist damit besonders nah an den Menschen, über die der Film erzählt. Die Musik von Ludocivo Enaudi passt dazu perfekt, auch wenn seine Stücke nicht für den Film selbst komponiert wurden, sondern aus seinem Album Divenire von 2006 stammen.

Wer Fern dennoch einen Ausstieg aus ihrem Leben gönnen möchte, wird zweimal eines Besseren belehrt. Denn Fern bekommt Ausstiege angeboten, die sie ablehnt. Das, was man gemeinhin als »das normale Leben« bezeichnen mag mit Konsum, festen Lebensräumen und dem Preis, den man dafür zu zahlen hat, interessiert Fern einfach gar nicht. In einer bemerkenswerten Sequenz mit ihrer Schwester wird auch den letzten ersichtlich, dass Fern nach ihrer Lebensart lebt und nicht erst oder einzig durch den Tod ihres Mannes und dem damit verbundenen Auszug aus ihrem gemeinsamen Haus zu dem Leben gezwungen wurde. 

In der Szene, in der sie selig lächelnd eine Steilkippe entlanggeht, wird Ferns Freiheitsdrang regelrecht greifbar: Umgeben von Vögeln im Wind fühlt sie sich wie ein Vogel im Wind – überhaupt sind Vögel eines der zarten Motive des Films. So zieht es eine ihrer Nomadenfreundinnen zu einem Ort, an dem zahlreiche Vögel nisten. Mehr braucht es nicht, um glücklich zu sein. So einfach ist das?
Ja. So einfach ist das. Und der Film zeigt, wie und warum. 

Bei all dem wird Nomadland niemals platt. Das Leben als Nomadin ist mit Entbehrungen verbunden, das zeigt der Film durchaus. Ganz ohne ein Leben im Außen, ganz abgekoppelt von der Gesellschaft funktioniert es nicht. Fern arbeitet wie andere auch saisonweise in einem Amazon-Lager, verdingt sich in Küchen, auf Farmen, auf Campingplätzen. Ihre Arbeiten setzen keine Vorbildung voraus – bieten Fern und den anderen Kollegen dennoch die Möglichkeit, in Würde ihr Leben in Würde zu leben. Man ist angewiesen auf die Erlaubnis anderer, den eigenen Camper abzustellen. Und als Fern ihren Wagen reparieren muss, schafft sie es tatsächlich nicht allein. Und dennoch: Fern ist keine Bettlerin, keine Wegelagerin. Sie ist eine stolze Frau, die ihr Leben lebt. 

Der Oscar-Erfolg adelt mit Nomadland den Film einer begabten Regisseurin, der auf Subtiles setzt, ein Novum für Hollywood. Noch vor wenigen Jahren wäre der Film wohl eher ein Festival-Liebling ohne größere Aufmerksamkeit geworden – wie Hollywood gern subtile, feinsinnige Filme eher Cannes, Berlin, Venedig, Locarno oder, wenn schon in den Vereinigten Staaten, dann dem Sundance Film Festival überlässt. 

Dass Chloé Zhao erst die zweite Frau ist, die einen Regie-Oscar erhält, sagt viel aus über das Hollywood-System. Und hoffentlich sagt es viel über einen Wendepunkt aus, den Hollywood durchleben sollte. Chloé Zhao  ist mit Nomadland nicht einfach ein grandioser Film geglückt: Ihr Nomadland ist wertvoll, bereichernd und wichtig. Die Oscars befeuern den Erfolg eines Films, die ihn erhalten, und gerade in Bezug auf Nomadland ist die Aufmerksamkeit ein Geschenk. 

Chloé Zhao selbst hat nach ihrem Kritikererfolg übrigens einen weiteren Weg beschritten: Ihr nächster Film Etnerals ist eine Marvel-Comicverfilmung mit einem Budget in dreistelligem Millionenbereich – ein erstaunlicher, früher Schritt hin zum Blockbusterkino. Was es bringt, wird sich zeigen. 

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