Filmkritik The Vast of Night – Die Weite der Nacht

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Wie man eine schon häufig erzählte Geschichte innovativ verfilmt, beweist Regisseur Andrew Patterson mit seinem hochgradig atmosphärischen SF-FilmThe Vast Of Night – Die Weite der Nacht: Durch den fast kategorischen Verzicht auf gängige Stilmittel wie Special Effects zugunsten einer ungewohnt ruhigen Erzählweise mit minutenlangen Einstellungen und der Kraft von Monologen und Dialogen. Das ist genial, innovativ und absolut sehenswert. 

Mit seinem Regiedebüt ist Andrew Patterson ein bemerkenswerter, vielschichtiger und außergewöhnlicher Science-Fiction-Film gelungen, der das Prinzip der Sichtbarkeit auf den Kopf stellt.

Für eine Story über mysteriöse Alien-Signale rund um einen kleinen Ort in den USA in den 50er-Jahren scheint das gewagt. Doch genau dieser Kniff verleiht The Vast Of Night seine unnachahmliche Magie. Patterson führt das Genre auf seinen Ursprung zurück: Hören, Sprechen, Hörensagen – das Meiste spielt sich in den Köpfen des Publikums ab, das sich eigene Bilder erfinden muss. Die zahlreichen Gespräche sind es, die The Vast Of Night von Minute zu Minute unheimlicher und fesselnder machen. Wenn die Kamera nichts weiter tut, als den Personen ins Gesicht zu filmen, während sie sprechen, erzeugt das einen Sog, der selbst Regie-Legende Steven Spielberg zu einem großen Fan von The Vast Of Night gemacht hat. 

The Vast Of Night spielt in der Hochphase der Alien-Mythologien, die noch heute in Film, TV und Literatur so wirkmächtig sind – die 50er-Jahre legten den narrativen Grundstein von Klassikern wie E.T., Unheimliche Begegnung der dritten Art und damit auch Akte X und Stranger Things. Die Basis bildeten Erzählungen, die sich durch ständige Wiederholung und Ausschmückung zu einem der grundlegenden Erzählmythen der Neuzeit verdichteten. 

The Vast Of Night nimmt uns genau in diese Zeit mit und kann fast auf Vorläufer der bekannten Klassiker durchgehen. Wir sehen Fay (Sierra McCormick) und Everett (Jake Horowitz) dabei zu, wie sie auf ein merkwürdiges Signal stoßen, darüber spekulieren und ihm innerhalb einer Nacht auf den Grund gehen. 

Wir Zuschauer bekommen dabei nicht mehr vom Geschehen zu sehen als unsere beiden Protagonisten. In minutenlangen Einstellungen sehen wir ihnen ins Gesicht, hören ebenso gespannt wie sie die mysteriösem Geräusche an und müssen ebenso wie sie Spekulationen anstellen. 

So ruhig und reduziert der Film erzählt ist, so unheimlich ist er. Je mehr wir zeitgleich mit Fay und Everett erfahren, umso spannender wird für uns die Frage, was vor sich geht. Das geht so weit, dass während einer Schilderung das Bild für lange Zeit einfach schwarz wird – wir sind zum reinen Hören, Spekulieren und Phantasieren gezwungen. Wenn der Film in derlei Momenten das Filmische bewusst außer Kraft setzt, werden wir zu den Menschen, die in den 50er-Jahren mit diesen Geschichten konfrontiert wurden. Wir spüren ihre Unsicherheit und latente Furcht. Und wir nehmen teil an der Entstehung eines modernen Mythos – das ist fabelhaft!

Dass der Film nicht aus Budgetgründen auf übliche Effekte verzichtet, sondern einem festen Konzept folgt, machen beeindruckende, mehrminütige Kamerafahrten und Plansequenzen deutlich. Mal klebt die schwebende Kamera minutenlang an Everett, der sich seinen Weg durch eine Turnhalle voller Menschen bahnt, mal schwebt sie in Bodennähe durch den menschenleeren Ort, taucht in die belebte Sporthalle ein und verlässt sie wieder. 

Doch The Vast Of Night erzählt noch mehr: Fay und Everett sind mehr oder weniger die einzigen Personen, die nicht am gesellschaftlichen Event in der Sporthalle teilnehmen. Beide sind im wahrsten Sinne des Wortes außerhalb der Gesellschaft. Während Everett selbst Witze darüber macht, dass ihm während seiner Radiosendung ohnehin niemand zuhören wird, weil alle in der Sporthalle zusammengekommen sind, wartet Fay in der kleinen Telefonzentrale auf Anrufer. Erst diese Konstellation macht die beiden erst auf das Phänomen des rätselhaften Geräuschs aufmerksam, und nur in ihrer Stellung abseits der Gesellschaft klären sie es.

Ein bemerkenswerter Film, den sich Amazon frühzeitig gesichert hat und ihn direkt auf Amazon Prime veröffentlichte.

Die Weite der Nacht – Vast Of Night – USA 2019 – Amazon Studios – Regie: Andrew Patterson – Mit: Sierra McCormick, Jake Horowitz – 90 Minuten – FSK 12

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