Filmkritik Schachnovelle

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Filmkritik Schachnovelle

Legionen an Schülern, die die Schachnovelle als Schullektüre durchnahmen, können sich bei der aktuellen Verfilmung von Philipp Stölzl die Augen reiben: Hat Stefan Zweig tatsächlich einen klaustrophobischen Thriller geschrieben, dessen Spannung und Drastik im Deutschunterricht unter den Teppich fielen?
Die Antwort ist ein klares Jein.

Die neueste Adaption von Zweigs bekanntester Novelle nimmt sich nämlich außerordentlich viele Freiheiten heraus. So ignoriert sie den Ich-Erzähler der Novelle vollständig und dichtet dem literarischen Geschehen ein komplett neues erstes Drittel hinzu, bevor sie für die Isolationshaft einfach den namen- wie gesichtslosen »Gestapoleuten« mit Franz-Josef Böhm eine feste Person mit Gesicht und Redeanteil gibt. Und, ach ja, dem nahezu namenlosen Dr. B. aus der Novelle einfach den Namen Dr. Josef Bartok gibt, ihn zur Hauptrolle macht und damit die Struktur der literarischen Vorlage mal eben komplett über Bord wirft.

Auch der Interpretationsspielraum von Zweigs Novelle geht im Film verloren, denn hier wird alles deutlich gezeigt und ausbuchstabiert. Für was steht die Zweiteilung von Dr. Bartok wirklich, der sich in Isolation in zwei Personen aufspaltet, um gegen sich selbst zu spielen? Der Film bietet da wenig subtil kaum Resonanzboden. Dass es sich hier um eine Metapher für die nazi-deutsche Gesellschaft handeln könnte, die durch das Abdriften aus oder trotz aller Kultiviertheit ins Böse und Barbarische sich selbst zum Feind macht und daran psychisch krank wird, lässt der Film nicht erahnen. Die »Schachvergiftung« der Novelle klingt hier nur einmal beiläufig an und wird nicht weiter aufgelöst. 

Das sitzt und muss gerade von Puristen erstmal verkraftet werden, zumal die Frage berechtigt ist: Ist ein derart schonungsloser Umgang mit der literarischen Vorlage noch eine Verfilmung im engeren Sinn?

Glücklicherweise ja. Denn Regisseur Stölzl und Drehbuchautor Eldar Grigorian konzentrieren sich ganz auf die Isolationshaft und dem, was sie aus Menschen macht. Das ist überaus packend erzählt. Die Konfrontation der Verhöre, die Isolation, der Wahnsinn und nicht zuletzt das Geschehen auf dem Schiff sind atmosphärisch dicht. Hier das Gute, da das Böse – hier das Gesunde, da das Kranke – hier der Reichtum, da der Verlust: Gegensätze prallen in Schachnovelle nicht einfach aufeinander, sie sind sich nahe. Seine beiden Hauptfiguren Bartok und Böhm stehen dafür in exemplarischer Weise. Beide sind kultiviert, gebildet, wohlerzogen; nur leider ist einer einer von ihnen Gestapo-Scherge, der andere sein Opfer.

Kamera, Ausstattung, Schnitt haben Top-Niveau – oder anders gesagt: Internationales Format. 

Das liegt natürlich auch an den zwei Schwergewichten der deutschen Darstellerriege. Oliver Masucci gibt in seiner Hauptrolle als Dr. Josef Bartok alles, das ist große Schauspielkunst. Jede Regung von Freude über Trotz und Wut bis zu Angst und Wahnsinn macht er erfahrbar. Zu Recht für den Deutschen Filmpreis nominiert, erhielt ihn der doppelt nominierte Masucci allerdings für seine Darstellung als Rainer Werner Fassbinderin Enfant Terrible. International ist Masucci vor allem durch Rolle in der deutschen Netflix-Serie Dark bekannt, die als eine der besten Science-Fiction-Serien aller Zeiten gelobt wird und in einem Zuschauervoting zur besten Netflix-Serie gekürt wurde. Ihm zur Seite – oder besser gesagt: ihm gegenüber – zeigt Albrecht Schuch erneut, dass er zur ersten Garde deutscher Schauspieler zählt. Schuchs Liste an Auszeichnungen und Nominierungen ist lang: Wie Masucci hat bereits den Deutschen Filmpreis erhalten, und das gleich doppelt: Sowohl für die beste Hauptrolle in dem oscarnominierten Filmdrama Systemsprenger sowie für die beste Nebenrolle in der grandiosen Neuverfilmung von Berlin Alexanderplatz – für diese Leistung erhielt er zudem eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis. In Schuchs Gestalt zeigt sich das Janusköpfige in gewohnt eindrucksvoller Weise: Äußerlich nett, zivilisiert, hübsch, innen die berechnende, kaltblütige Bestie. 

Was bleibt also?

Trotz – oder gerade wegen – der Freiheiten und der Beschränkung auf Konfrontation, Kampf und Isolation ist Philipp Stölzls Schachnovelle ein gelungenes Beispiel für eine filmische Adaption nennt. Denn ohne Stefan Zweigs Vorlage zu beschädigen, wandelt sich die Geschichte für das Medium Film in etwas anderes. Dass dies eine Bereicherung sein kann, hat erst letztes Jahr die Neuverfilmung von Berlin Alexanderplatz bravourös gezeigt: Keine Angst vor der literarischen Vorlage zu haben heißt nicht, keinen Respekt vor ihr zu haben. Die aktuelle Filmversion bietet sich geradezu an, anschließend Zweigs schmales Bändchen zu lesen und andere Seiten der Geschichte kennenzulernen. 

Denn bei allem Auserzählen und Zeigen der Geschehnisse, die Zweigs Novelle höchstens andeutet, transportiert der Film die Handlung und Essenz ganz hervorragend.

Schachnovelle: Deutschland 2020 – 107 Minuten

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